Von Heidi Jäger: Das Braun von Agfacolor
Das Buch „Ufa in Farbe“ beleuchtet ein eher unterbelichtetes Kapitel der Ufa: ihre 13 Farbfilme
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Den Schauspielern läuft die Schminke vom Gesicht. Die künstlichen Locken von Marika Rökk nehmen den markanten Ton eines Kanarienvogels an. 120 Scheinwerfer tauchen die Szene in blendende Helligkeit und verbrauchen den gesamten Strom, über den die Ufa verfügt. Der von 1939 bis 1941 entstandene Musikfilm „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ war ein großes Experiment: Das erste Mal laborierte die Ufa mit Farbe.
In dem gerade erschienenen großformatigen und bildkräftigen Buch „Ufa in Farbe. Technik, Politik und Starkult zwischen 1936 und 1945“ ist spannungsreich nachzulesen, wie 13 abendfüllende Farbfilme in Konkurrenz zu Hollywood entstanden. Ein regelrechter Scheinwerferpark musste anfangs aufgebaut werden, um die Empfindlichkeit des Agfa-Filmmaterials zu strapazieren. „Licht, Licht und nochmals Licht brauchte dieser Schöpfungsakt. Wir wurden ausgeleuchtet wie eine Burgruine zur touristischen Hochsaison“, schrieb Marika Rökk in ihren Memoiren. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels war dennoch nicht zufrieden, als er den ersten Farbfilm der Ufa das erste Mal sichtete. Er soll geschrien haben: „Bringt diese Scheiße heraus und verbrennt sie.“ Doch Nachaufnahmen mit verbessertem Filmmaterial stellten auch den selbsternannten Schirmherrn des deutschen Films zufrieden. „Stoff schlecht, aber Farbwirkung gut“, notiert Goebbels 1940 in seinem Tagebuch. Auch das Publikum zeigte sich entzückt von den Seidenkostümen der Tänzerinnen, den schwarzen Husaren, den eleganten Biedermeiermöbeln – nun erstmals sattsam in Farbe getaucht.
Das in der Collection Rolf Heyne erschienene wissenschaftlich fundierte und anekdotenreich brillierende Nachschlagewerk lässt manchen Schmachtfetzen noch einmal Revue passieren und beschreibt ausführlich ein bislang eher unterbelichtetes Kapitel der Ufa, die mehr mit Schwarz-Weiß-Filmen wie „Metropolis“ oder „Der blaue Engel“ assoziiert wird. Die in Farbe getauchten Revuefilme, gegenwartsferne Liebesfilme und Komödien erfüllten wohl gerade in ihrem unpolitischen Anstrich einen politischen Auftrag, nämlich die Kriegsmoral zu stärken. „Das Braun von Agfacolor kann über das Janusgesicht seiner Erscheinung nicht hinwegtäuschen“, ist zu lesen. Der einzige offensichtliche Propagandafilm „Kolberg“, teuerster Film des „Dritten Reichs“, wurde indes sein größter Flop.
Der NS-Staat forcierte die Entwicklung des Farbfilms, um nicht von der US-Filmindustrie abgeschlagen zu werden, die sich anschickte mit „Die Abenteuer des Robin Hood“ oder „Vom Winde verweht“ den Weltmarkt zu erobern. Schon bevor Marika Rökk in „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ im Babelsberger Park einen Walzer aufs grüne „Parkett“ legte, ließ sie sich wie viele andere Filmstars mit dem 1936 eingeführten Agfacolor-Diafilm ablichten. Diese Werbefotos stellen heute eine film- und zeitgeschichtliche Rarität dar. Das Buch von Friedemann Beyer, Gert Koshofer und Michael Krüger zeigt eine große Auswahl dieser seltenen Fotos ebenso wie Filmstills oder Kinoaushangplakate – in jahrelanger Arbeit mühsam zusammengetragen. Drumherum ranken sich unterhaltsam geschriebene Essays, die nicht nur interessant über die technische Entwicklung, sondern auch über die Filmstars im „Dritten Reich“ erzählen. Joseph Goebbels umgab sich gern mit den Größen des deutschen Films. Er traf sich mit ihnen auf eine Plauderstunde beim Tee oder unternahm Bootspartien auf dem Wannsee. Ob mit Olga Tschechowa, Kristina Söderbaum, Viktor de Kowa oder Heinz Rühmann – Film und Politik waren unterm Hakenkreuz auch privat verbandelt. Goebbels spezielles Verständnis weiblicher Nachwuchspflege brachte ihm bald den Spitznamen „Bock von Babelsberg“ ein.
Keine Kunstgattung besaß im NS-Staat höheres Ansehen, keinem Berufsstand wurde mehr Aufmerksamkeit zuteil. Schließlich bot der Film das größte emotionale Überwältigungspotential. Als besonders gelungenes Beispiel filmischer Propaganda lobte Goebbels Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“: „Sieht heute ein Nationalist den Film ,Panzerkreuzer Potemkin’, dann ist er in Gefahr, Kommunist zu werden, weil der Film so gut gedreht ist“. Im Wissen um die Macht der Bilder brachte Goebbels die deutsche Filmindustrie immer mehr unter staatliche Kontrolle. In „Ufa in Farbe“ wird deutlich, wie man mit der Gründung der Filmkreditbank 1933 dafür sorgte, dass nur solche Produktionen gefördert wurden, die dem neuen Geist entsprachen. Tiefgreifende Auswirkungen auf die Filmbranche hatte auch die Gründung der Reichsfilmkammer im Juli 1933. Die Mitgliedschaft war für alle Filmschaffenden obligatorisch: wenn man ihnen die nötige Zuverlässigkeit zusprach. 3000 jüdischen Filmschaffenden wurde sie nicht attestiert.
„Arischen“ Kolleginnen wurde hingegen die „Ehre“ zuteil, Hitlers Tischdame zu sein, wie Lil Dagover, Marianne Hoppe oder Anny Ondra. Häufige Gäste beim „Führer“ seien auch Jenny Jugo, Leni Riefenstahl, Heinrich George, Veit Harlan und seine Frau Kristina Söderbaum sowie Wolfgang Liebeneiner und Gattin Hilde Krahl gewesen, schreiben die Autoren. Wie im Kapitel „Von Frauen als besseren Diplomaten zum letzten Aufgebot“ zu lesen ist, wurden deutsche Filme im Ausland zunehmend boykottiert und hatten es auch beim einheimischen Publikum schwer. Das sah lieber Streifen aus Hollywood, die erst 1940 aus den deutschen Kinos verschwanden. Auch Hitler kam bei Stars aus Hollywood ins Schwärmen, vor allem bei Greta Garbo. Um der Konkurrenz etwas entgegenzusetzen, wurde die Schwedin Zarah Leander zur ersten Ufa-Diva aufgepeppt. Sie wurde regelrecht zur Reklamepuppe, indem man ihr genau vorschrieb, was sie für jeden Lunch, jede Party für Schmuck, Hüte oder Schuhe zu tragen hatte. „Jedes Stück war nummeriert, alle Accessoires hatten Ziffern – es war unmöglich, etwas falsch zu machen und sich womöglich ein Diadem zu Straßenschuhen aufzusetzen“, schrieb Zarah Leander. Auffallend viele Stars der Ufa kamen aus dem Ausland: Lilian Harvey aus England, Marika Rökk aus Ungarn, Olga Tschechova aus Russland, Lida Baarova aus Tschechien. Vielleicht dachte Goebbels schon vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bei der Ausweitung des Verbreitungsgebietes in europäischen Dimensionen, mutmaßen die Autoren. Das Image der Stars wurde jedenfalls kräftig aufpoliert, teils mit fiktiven Biografien.
Wie in Krisenzeiten symptomatisch, strömten die Menschen in die Kinos, um sich abzulenken, zwischen 1939 und 1943 verdoppelte sich fast der Besuch. Und es waren stets auch die Stars, die zum Erfolg beitrugen, wie Hans Albers als „Münchhausen“. Von Albers, einem der bestbezahlten Schauspielern, wird berichtet, dass er es erfolgreich vermied, mit einem Protagonisten der NS-Diktatur abgelichtet zu werden. Und er sagte sich auch nicht von seiner „nichtarischen“ Lebensgefährtin los. „Münchhausen“ mit seiner verschwenderischen Ausstattung gilt als der bedeutendste Ufa-Farbfilm. Drehbuchautor war Erich Kästner. Da er von den Nazis schon ab 1934 mit Schreibverbot belegt worden war, musste sein Name verschwiegen werden. Er erhielt eine Sondergenehmigung zur Berufsausübung, die nach Drehschluss widerrufen wurde.
Die Kriegsverhältnisse und Knappheit des Rohfilms verhinderten, dass noch mehr Farbfilme gedreht werden konnten. Dennoch ließ man sich die laufenden Bilder etwas kosten. Für „Karneval in Venedig“ mit 8000 Statisten wurden drei Eisenbahnwaggons mit Kostümen von Potsdam nach Venedig auf die Reise geschickt. Doch das Vorgaukeln einer heilen Welt wurde immer schwieriger. „Große Freiheit Nr. 7“, der wohl anspruchvollste Farbfilm der Ufa, sollte gedreht werden, während auf Hamburg Bomben fielen und 50 000 Menschen starben. Plätze, die man als Kulissen ausgesucht hatte, existierten wenig später nicht mehr. Doch Ruinen durften nicht gefilmt werden – auch das strikter Befehl der Reichsfilmkammer. Also wurde das zerstörte Amüsierviertel St. Pauli in Berlin Tempelhof auf 60 Metern nachgebaut – und ebenfalls während eines Luftangriffs vernichtet. Erst im bombensicheren „Bunker“ der deutschen Filmindustrie, in den Barrandov-Studios Prag, konnte Hans Albers ungestört sein „La Paloma“ anstimmen. In Farbe und Ton beschwor die „Große Freiheit“ ewige Aufbruchstimmung, doch sie atmete auch die Bedrücktheit der Zeit. Als sie im September 1945 in Westberlin Premiere hatte, gab es das braune Nazideutschland längst nicht mehr.
„Ufa in Farbe“, Collection Rolf Heyne, 58 Euro
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