
© Unidram
Die Erde scheint zu beben. Das Gefühl der Angst dringt in den Körper, lässt den Magen rebellieren, den Kopf brummen. Zuschauer verlassen den Saal. Die finnische Companie „Und er libet“ macht den Schrecken fühlbar. Dabei zelebrieren die vier Tänzer ihre Bilder in Endlosschleifen, bis sich die Angst abnutzt. So wie die Medien die Zuschauer oft mit Schreckensszenarien bis zum Überdruss füttern und diese schließlich abgestumpft die nächste Katastrophe konsumieren, lässt auch das Stück „Die Backchen2“ ein Gefühl der Apathie entstehen. Die vier Tänzer durchrütteln im grellen Licht der Neonröhren ihre Körper wie von einer fremden Macht besessen, scheinen vom Wahn befallen, wenn sie sich in epileptischen Verrenkungen wie an Land gespülte Fische auf dem Boden winden. Hilflose Kreaturen. Schließlich vereinen sie sich in einem seelenlosen Tanz, der an eine Ecstasy-Party denken lässt. Schwiemelnde Blicke, entrückte Gesichter und eine sich immer weiter hochschaukelnde Ekstase – bis zur Atemlosigkeit.
Dieses Schauspiel entstand vor dem Hintergrund von Euripdes‘ „Backchen“. Themen der antiken Tragödie wie Wahn und Verblendung, Ordnung und Orgie, Gewalt und Erschöpfung werden in drastischen Szenen bis an die Grenze des Erträglichen vor Augen geführt. Dazu Musik, die dumpf und verzerrt das tiefe Unbehagen zusätzlich anheizt. Es gibt auch leise Momente, einen weich fließenden Schattentanz zu einem Gesang, der in den höchsten Tönen die Einsamkeit fühlbar werden lässt. Von diesen Inseln seelischer Entkrampfung hätte man sich mehr gewünscht. Am Ende erstarrt alles in einem „Gemälde“: Vier Figuren schauen zweifelnd ins Leere. Eingefroren in ihrer Verlorenheit. Es bleiben ein leeres Lächeln und verstörte Zuschauer, die nach einem verhaltenen Klatschen sichtlich erleichtert ins Freie treten.
Zuvor hatte ihnen an diesem freitäglichen Unidram-Abend schon die Gruppe Agrupación Senor Serrano aus Barcelona einiges abverlangt und das Gruseln gelehrt. Die vier jungen Männer in Turnschuhen, die sich immer wieder unter Teletubby-ähnlichen Köpfen verschanzen, steuern in ihrem „Märchen“ von der Gummibärenbande direkt auf die „Katastrophe“ zu. Aus den kleinen Versuchen an ihren drei Labortischen erwächst der SuperGAU. Links und rechts von den Zuschauern flankiert, mixen sie gut einsehbar in Reagenzgläsern alle Ingredienzien, die in ihren teuflischen Reaktionen die Welt unter sich begraben. Durch überlagerte Filmprojektionen erwachsen an den Wandflächen eindringliche Bilder, die Tsunamis, Vulkanausbrüche und schließlich die nukleare Apokalypse assoziieren lassen. Das schöne Märchen über die Natur mit den goldigen Bärchen, süß wie Honigtropfen, mutiert zur stinkenden schwarz-klebrigen Masse, die alle Hoffnung vernichtet. Katastrophen beginnen oft ganz klein und sind auf einmal Riesen. Doch weiter gehts in der Spaßgesellschaft und Politiker drechseln unverdrossen ihre sinnentleerten Sprüche. Die Spielmeister im T-Werk verlassen ihren Platz im Laboratorium und überlassen den Mächtigsten der Welt das Wort. Alle sehen sie die Wurzeln der Katastrophen in den Fehlern der anderen: ob Bush, Putin oder Gaddafi. Auch Hitler wird in dieser dokumentarischen „Galerie“ eingeblendet. Er verkündet: „Lass den Vulkan, der in unseren Herzen schlägt, stark werden. Heil!“ Die Gummibären lösen sich auf. Kein Märchen mit Happy End. Aber eine bärenstarke Inszenierung zum Herzerweichen. Auch wenn man sich das Ende bereits früher gewünscht hätte, jedenfalls in dieser dann doch etwas ausufernden Inszenierung des Weltuntergangs.
Zwischen diesem ganzen unerträglichen Chaos im sich selbst auslöschenden Diesseits gestaltet sich die Reise ins Jenseits mit der Puppenspielerin Ute Gebert aus Berlin geradezu als fröhliche Landpartie. „Anubis“, der altägyptische Gott der Totenriten, der in seinem Boot über die Bühne schwebt, um die Seelen ins Totenreich zu holen, ist ein geradezu liebenswert-possierlicher Knochenmann. Er hat trotz seiner blutunterlaufenden Augen und dem weit geöffneten Maul nichts Angsteinflößendes, auch wenn er in seinem langen Kapuzenmantel auf dem Grabstein hüpft und aus der frisch aufgeworfenen Erde das noch glühende Herz entführt. Es wiegt schwer in der Waagschale, die auf dieser schwarz ausgeschlagenen intimen Bühne immer wieder ins Gleichgewicht der Weltordnung gebracht werden will. „Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe. Aus des Dionysos, der Venus Sippe, Ein großer Gott der Seele steht vor Dir“, klingen die Worte aus „Der Tor und der Tod“ von Hugo von Hoffmannsthal aus dem Off. Sie umfangen dieses scheinbar so naive, doch zutiefst sinnlich-poetische Spiel wie eine weiche Umarmung. Wenn Spielerin und Puppe geradezu verschmelzen, ist das von anrührendem Zauber. Schaurig-schön! Und zwischen den infernalen Katastrophen ein leises kraftspendendes Intermezzo „heiliger, geheimnisvoller Macht“. Heidi Jäger
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