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Kultur: Das Glück der Natur

Der Potsdamer Ralf Wilhelm Schmidt hat seine Zeichnungen in einem Kalender zusammengefasst

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Den Juni hat er der Libelle gewidmet. Zwei Stunden lang stand Ralf Wilhelm Schmidt auf der Wiese und beobachtete unablässig das Insekt. Bis er das Gefühl hatte, von diesem kleinen und so zarten Lebewesen nicht mehr als etwas Fremdes, Verstörendes wahrgenommen zu werden. Ralf Wilhelm Schmidt hat weiter gewartet. Bis sich die Libelle auf einen Zweig gesetzt und zur Ruhe gekommen ist, direkt vor ihm. Und auch wenn es nicht sein kann, wirkt es so, als würde einen dieses Insekt in dem Kalender mit den Zeichnungen von Ralf Wilhelm Schmidt ganz genau beobachten.

Ralf Wilhelm Schmidt hat den Moment, als die Libelle direkt vor ihm auf dem Zweig saß, mit dem Fotoapparat festgehalten. Später, in seiner Zweiraumwohnung am Schlaatz, die ihm gleichzeitig als Atelier dient, hat er das Bild genommen, seine Bleistifte und angefangen zu zeichnen. Wie fast alle seine Bilder wirkt auch dieses auf den ersten Blick wie eine detailgenau Kopie der Wirklichkeit. Denn Ralf Wilhelm Schmidt ist auf seinen Schwarz-Weiß-Zeichnungen der Wirklichkeit auf der Spur. Und doch sind seine Arbeiten mehr als nur Abbilder. Sie sind die Summe seiner Eindrücke, die er in der Natur über so viele Jahre gesammelt hat und noch immer sammelt. Es sind die besonderen Stimmungen, die in einem bestimmten Licht und oft nur für wenige Momente entstehen. Es ist der genaue und bewusste Blick des Künstlers und Menschen Ralf Wilhelm Schmidt auf die Natur. Und es ist ein Plädoyer für dieses vom Menschen so oft missachtete und misshandelte natürliche Leben, das er hier einfängt. Zeichnen, so Ralf Wilhelm Schmidt, sei bei ihm immer wieder der Versuch, das Gesehene lebendig werden zu lassen. Nun hat Schmidt zum ersten Mal überhaupt 12 Reproduktionen seiner filigranen großformatigen Zeichnungen in einem Kalender zusammengefasst. Von dem Kalender, der auf gewichtigem „Munken Print“ gedruckt ist, gibt es nur 50 Exemplare.

Ralf Wilhelm Schmidt ist der Natur nicht einfach nur zugewandt. Schmidt ist von der Natur abhängig, sie ist eine Art Lebenselixier für ihn geworden. Der 44-Jährige würde das in seiner freundlich-pragmatischen Art so nicht sagen, weil das immer auch esoterisch klingt. Schmidt braucht nur seine Bilder zu zeigen, den „Jungen Eisvogel“ oder „Eisiger Morgen“, „Symbiose“ oder „Libelle II“, um diese enge Verbindung zu verdeutlichen. Oder er erzählt von seinem Lebensweg, der immer auch ein Weg in die Natur war und ist.

In Luckenwalde geboren, ließ sich Ralf Wilhelm Schmidt in den 80er-Jahren zum Tischler ausbilden. Er wechselte in die Forstwirtschaft, weil der Betrieb, in dem er damals arbeitete, zu stark von den Kadern der SED, der DDR-Staatspartei, geprägt war. Schmidt empfand eine Enge, der er entfliehen musste. Dem Holz, dem Natürlichen aber wollte er weiterhin treu bleiben. 18 Jahre lang ging Ralf Wilhelm Schmidt dann fast täglich in den Wald. Er fällte Bäume und pflanzte neue, Tausende mit den Jahren. Doch dann spürte er ein Ungleichgewicht, den Druck der Bürokratie und aufgezwungene Entscheidungen, die nichts mehr mit seinem Verständnis von Arbeit im und mit dem Wald zu tun hatten. Er staunte, was ihm alles unter dem Motto „Nachhaltige Wirtschaft“ verkauft wurde. In den Wäldern wurde mit großen Maschinen gerodet, Bäume, die erst kürzlich gepflanzt waren, vertrockneten, weil andere Arbeiten wichtiger waren: Arbeiten, für die gerade Fördergelder bereit standen. Fragte Schmidt nach, hieß es, er solle sich nicht um die vertrockneten Bäume kümmern. Da könne man ja im kommenden Jahr neue pflanzen. Ralf Wilhelm Schmidt spürte wieder diese Enge und ging in sich. „Ich bin doch keine Maschine“, sagte er sich. Auch sein Körper rebellierte, die Knie kaputt, ein Bandscheibenvorfall. Ein Jahr lang war er krank, Schmidt spürte, dass es Zeit für einen Neuanfang wurde. Dass er diesen ausgerechnet im Zeichnen finden würde, war ihm damals noch nicht klar.

In der Zeit der Krankheit las Ralf Wilhelm Schmidt viele Bücher, vor allem Biografien. Er wusste, dass sich etwas in seinem Leben ändern musste, wenn er wieder zufrieden und auch glücklich sein wollte. Klar war ihm, dass er keine Vorgesetzten mehr wollte. Und dass er der Natur treu bleiben musste. „Ich habe nicht wirklich gesucht, ich habe mich treiben lassen“, sagt Schmidt. Bis er auf das alte Buch mit den Zeichnungen von Landschaften und Klosterruinen stieß. Diese Feinheiten, diese Detailtreue faszinierte ihn. Und irgendwie wusste er tief in sich drin, dass es das ist, was er machen musste.

Ralf Wilhelm Schmidt fing dann einfach an. Er zeichnete die Motive aus dem Buch ab oder versuchte es zumindest. Er las und informierte sich, zeichnete und zeichnete. Er studierte die alten Meister, die Künstler der Renaissance, übte das Spiel mit Licht und Schatten, das Filigrane der Details, zeichnete und zeichnete. Er ging raus in die Natur, studierte das Bekannte, entdeckte Neues, Orte, die etwas in ihm auslösten, fotografierte und zeichnete. 2010, ein Jahr nachdem er das alte Buch mit den Zeichnungen und so seinen neuen Lebensinhalt entdeckt hatte, eröffnete Ralf Wilhelm Schmidt seine erste Ausstellung im Heimatmuseum Luckenwalde. Im Jahr darauf zog er nach Potsdam und stellte im Kunst-Kontor von Friederike Sehmsdorf aus.

Ralf Wilhelm Schmidt verbringt unzählige Stunden in seiner Schlaatzer Atelierwohnung vor der Staffelei. Wer sich auf seine faszinierenden Zeichnungen einlässt, wird schnell erkennen, dass hier einer arbeitet, der sich viel Zeit lässt, weil diese Bilder Zeit brauchen. Wer sich genügend Zeit zum Betrachten nimmt, wird erkennen, wie lebendig diese zeichnerische Welt von Ralf Wilhelm Schmidt ist.

Die PNN verlosen zwei Kalender von Ralf Wilhelm Schmidt am heutigen Mittwoch ab 10 Uhr unter Tel.: (0331) 23 76 116. Bestellung des Kalenders (49 Euro), Besichtigung der Originale und Fine-Art-Reproduktionen unter Tel.: 0177 332 11 64 und im Internet unter www.ralfwilhelmschmidt.de

Dirk Becker

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