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Kultur: „Das ist existenziell“
Bernhard Forck über Mozarts Requiem, das er am Samstag mit der Kammerakademie aufführt
Stand:
Herr Forck, bevor wir über Mozarts Requiem sprechen, eine entscheidende Frage vorweg: Für welche Fassung haben Sie sich bei dem Konzert mit der Kammerakademie Potsdam entschieden?
Das ist für mich die schwierigste Entscheidung gewesen. Je mehr man sich mit dieser Materie befasst, je mehr man darüber liest, umso schwieriger wird es, sich zu entscheiden.
Wolfgang Amadeus Mozart konnte das Requiem, eine Auftragsarbeit, nicht vollenden, weil er nach schwerer Krankheit am 5. Dezember 1791 im Alter von knapp 36 Jahren verstarb. Seine beiden Schüler Joseph Eybler und Franz Xaver Süßmayr haben auf Bitten von Mozarts Witwe das Werk dann vollendet.
Ja, und es ist heute immer noch spannend, wie schon zu Lebzeiten von Mozarts Witwe Constanze die Diskussionen hochkochten. Süßmayr hatte seine Ergänzungen ja ganz bewusst an die Mozartsche Handschrift angelehnt, die fertige Fassung mit Mozarts Unterschrift und dem Datum 1792, also ein Jahr nach dessen Tod, versehen.
Ein bisschen zu offensichtlich für eine Fälschung?
Wahrscheinlich hat er gewollt, dass man weiß, dieses Requiem ist nicht 100 Prozent Mozart. Ich glaube nicht, dass ihm da ein Fehler unterlaufen ist. Ich glaube, er hat das Datum bewusst falsch geschrieben, um diesen Hinweis zu geben. Daneben gibt es aber auch sehr viele ernst zu nehmende zeitgenössische Versuche, das Requiem fortzuschreiben. Für mich stand da also die Frage: Nehme ich aus all diesen Versuchen das heraus, was mir am besten gefällt und füge das wie bei einem Puzzle zusammen oder entscheide ich mich doch für die Süßmayrsche Fassung. Und nachdem ich mir alle Partituren gekauft habe, die ich dazu kriegen konnte und sehr lange überlegt habe, habe ich mich am Ende für die Fassung von Süßmayr entschieden.
Und was gab den Ausschlag dafür?
Für mich ist der Ansatz, zu glauben, aus heutiger Zeit ließe sich das Requiem besser fortschreiben, als zur Zeit Süßmayrs, der ja Mozart noch kannte, sehr problematisch. Natürlich merkt man, wenn da Süßmayr schreibt. Aber trotzdem ist das in einem Bogen verfasst, und dann gibt es einfach Wunder, wie die Vollendung von Lacrimosa und auch das Agnus Dei. Da ist Mozartscher Geist absolut zu hören.
Dieser Mozartsche Geist, was zeichnet ihn aus, gerade in diesem Requiem?
Ich weiß nicht, welche Art von Gläubigkeit Mozart hatte. Aber diese Fragen nach Tod und Leben, nach Endlichkeit und Ewigkeit scheinen hier auf. Und bei allem Bewusstsein, das Mozart über sein Genie, seine eigene Größe mit Sicherheit hatte, das Gefühl, dass da etwas viel Größeres existiert, das wird hier so spürbar. Ich spüre in diesem Requiem das direkte Gespräch mit Gott. Das ist kein Auftragswerk mehr, das ist existenziell. Das wäre mir sehr wichtig, wenn man merkt, egal wie unser persönlicher Glaube auch beschaffen ist, dass es hier um Existenzielles geht. Glaube ist hier gar nicht wichtig, denn hier werden Fragen angesprochen, denen niemand ausweichen kann. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Warum sind wir hier? Hat unser Dasein einen Sinn, eine Aufgabe? Mozarts Requiem ist für mich eine Form, auf diese Fragen zu reagieren, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Also hat Mozart hier die eigenen Erfahrungen durch die schwere Krankheit, das Bewusstsein über die eigene Endlichkeit in dieses Requiem einfließen lassen?
Sehr stark sogar. Für mich gibt es immer wieder Momente in dieser Musik, nach dem Confutatis oder das Voca me im Rex tremendae sogar ganz extrem, die sind so persönlich, da merke ich das ganz besonders. Mozart ist auf eine Art natürlich und einfach, selbst in den tragischsten Momenten ist da noch eine Heiterkeit. Da ist nichts schwer oder kompliziert oder verkopft, da ist immer eine überirdische Leichtigkeit, selbst im größten Schmerz, in der größten Heftigkeit, in der höchsten Dramatik. Aber in dieser Leichtigkeit steckt auch eine ungeheure Tiefe. Und das ist etwas, das nur wenigen gelingt.
Sie sagen, dass zu hören ist, was in diesem Requiem von Mozart und was von Eybler und von Süßmayr geschrieben wurde. Bleibt diese Komposition somit nur Fragment oder überwiegt doch stärker das Einheitliche?
Ich sehe das als Ganzes, würde da nicht trennen zwischen Mozart und Eybler und Süßmayr. Natürlich sind da immer wieder diese besonderen Mozartschen Momente, die nur bei ihm diese Kraft haben. Aber ich sehe das trotzdem als eine Einheit. Ich glaube auch, dass Eybler und Süßmayr mit großer Wertschätzung und Hochachtung komponiert haben. Mozart war ja ihr Lehrer. Das war in ihrem Bewusstsein, das hat sie geprägt, auch in ihrem Versuch, das fortzuschreiben, was Mozart begonnen hatte.
Würden Sie vielleicht sogar soweit gehen zu sagen, dass Eybler und Süßmayr bewusst war, dass ihre Fortsetzung nur Versuch bleiben konnte, sie nie an Mozart heranreichen würden und das in Kauf genommen haben, auch aus Respekt gegenüber ihrem Lehrer?
Ich glaube, dass es so war. Dafür spricht auch diese Signatur mit der falschen Jahreszahl 1792.
Da ist eine ungebrochene Popularität um dieses Requiem bis heute. Kurz nach seinem Tod aufgeführt, wurde es schon als „unvergleichliches Meisterwerk“ bezeichnet. Später wurde es bei den offiziellen Totenfeiern unter anderem für Beethoven und Chopin und selbst für Napoleon gespielt. In zahlreichen Filmmusiken finden sich Ausschnitte und selbst Computerspiele werden mittlerweile damit untermalt.
Auch in Computerspielen? Das wusste ich noch gar nicht.
Ja, unter anderem im bekannten Strategiespiel „Command & Conquer“. Schreckt Sie eine solche Allgegenwärtigkeit, die ja nicht selten auch zu einer gewissen Abgestumpftheit beim Hörer führen kann, wenn Sie das Requiem selbst auf die Bühne bringen wollen?
Wo das Requiem überall zu hören ist, das stört mich nicht, ist mir auch nicht so präsent. Und Angst setzt nur dann ein, wenn man denkt, man muss immer wieder etwas Neues machen, was Neues schaffen. In dem Konzert mit der Kammerakademie geht es nur darum, dass wir jetzt unsere Sicht dieses Stückes zu Gehör bringen, dabei glaubhaft wirken und es vielleicht sogar schaffen, dass alle für diesen Moment Ort und Zeit vergessen und nur dieses Requiem präsent ist.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Mozarts Requiem mit Solisten und Chor des Vocalconsort Berlin und der Kammerakademie Potsdam unter Leitung von Bernhard Forck am Samstag, dem 7. April, um 20 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Karten zum Preis von 8 bis 30 Euro in der Ticket-Galerie im Nikolaisaal oder unter Tel.: (0331) 28 888 28
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