zum Hauptinhalt

Kultur: Das lange Jahrhundert

Am morgigen Donnerstag beginnt die neue Konzertsaison „Musik an der Erlöserkirche“

Stand:

Die Hitze des untergehenden Tages flimmert noch am Horizont. Goldene Gespinste schweben an dem sich verdüsternden Himmel. Caspar David Friedrichs Gemälde „Abend“, das den Flyer der „Musik an der Erlöserkirche“ in warmer satter Farbe spannungsreich überzieht, gibt den Ton an zur neuen Konzertsaison, die am morgigen Donnerstag als Gastspiel im Nikolaisaal beginnt.

Es geht zurück in die Zeit der Romantik. „Unser großes Thema in dieser Spielzeit ist das 19. Jahrhundert, das eigentlich länger währte als 100 Jahre. Es wird von den beiden Wendepunkten Französische Revolution und Erster Weltkrieg begrenzt. Die Ideen der Aufklärung nehmen Gestalt an. Säkularisierung und Demokratisierung durchbrechen althergebrachte Hierarchien und patriarche Denkstrukturen“, sagt Kantor Ud Joffe, der gern in seinen Programmen auf Zusammenhänge schaut. „Wir wollen nicht nur schöne Musik spielen, sondern immer auch geistige Verbindungen aufzeigen.“

Die neue Konzertsaison präsentiert sich also als „Das lange Jahrhundert“ und wird von hinten aufgerollt. Mit Arnold Schönberg steht zum Auftakt ein Komponist auf dem Programm, bei dem man zuallererst wohl an die Zwölftontechnik denkt. Aber auch er war zuvor „Romantiker“, wie in seiner „Verklärten Nacht“ von 1899 zu hören sein wird. Inspiriert wurde dieses spätromantische Opus von einem Gedicht Richard Dehmels, das von einer Frau erzählt, die „in Sünde“ schwanger wird und einen Mann findet, der sich dennoch zu ihr und dem Kind bekennt. „Eine Patchwork-Geschichte, die auch zeigt, dass man nicht zu jeder Zeit neu durchstarten kann, wenn man erstmal Kinder hat“, sagt Ud Joffe, der den Zuhörern „eine wunderbare emotionale Musik“ verspricht, „die direkt in die Seele fließen kann. Ich sehe da eine Verlängerung zu Richard Wagners Tristan und Isolde“.

Und passend zum Jahr des Films erklingt auch eine „Begleitmusik zu einer Lichtspielscene“ von Schönberg. Allerdings hätte sich der Komponist nie Bildern untergeordnet, „er orientierte sich lediglich an Schlagworten wie ,Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe’. Im Jahr 1929 geradezu prophetisch“, so Christian Seidel, Vorsitzender des Trägervereins des Neuen Kammerorchesters Potsdam.

Neben Schönberg kommt beim morgigen Konzert ein zweiter Wiener zu Wort, der ebenfalls Anfang der 30er Jahre nach Hollywood ging: Erich Wolfgang Korngold. Er galt wie Mozart als Wunderkind und war später mit Richard Strauss der meistgespielte zeitgenössische Opernkomponist. Bis ihn Max Reinhardt nach Los Angeles holte. Dort schuf er den Sound von Hollywood mit großer sinfonischer Musik. „Im Violinkonzert, das wir aufführen, trifft Hollywood mit süchtig machenden Melodien auf Wiener Tradition“, so Seidel. Zwei Oscars erhielt Korngold für seine Filmmusik.

In den vier Sinfoniekonzerten der Saison findet zudem Gustav Mahler, der „letzte Architekt der klassisch-romantischen Form“ seinen Platz, von dem im November die „Kindertotenlieder“ und „Das Lied von der Erde“ zu hören sind. Auf „Wolke Sieben“ kann man im März schweben, wenn die Väter der Romantik, Franz Schubert und Ludwig van Beethoven, mit ihren 7. Sinfonien auftrumpfen. Und schließlich beendet Beethovens einzige Oper „Fidelio“ im Juni „Das lange Jahrhundert“: eine Oper über die unbesiegbare Hoffnung, die alle Dimensionen des Lebens aufzeigt und die „Freiheit im himmlischen Reich“ erahnen lässt.

Neben den Sinfoniekonzerten gibt es eine Reihe mit geistlicher Chormusik des 19. Jahrhunderts. Sie wird am Beispiel des Romantikers Felix Mendelssohn Bartholdy ausgelotet. „Seine Kantaten und Oratorien sind nicht für den gottesdienstlichen Gebrauch gedacht. Er erneuerte die geistliche Musik und eroberte mit ihr den Konzertsaal.“ Joffe bringt sie in den Kirchenraum zurück. Wie zur „Vocalise“ im November mit dem „Elias“: ein wahres geistliches Drama mit Happy End über einen Glaubensfanatiker. Man spürt Joffes intensive Auseinandersetzung mit Mendelssohn Bartholdy, der einer jüdischen Familie entstammt, christlich erzogen wurde und auch selbstbestimmt das Christentum lebte. Joffe ist bekennender Jude, spricht mit seinen Kindern Hebräisch, möchte nicht, dass das Jüdische „ausblutet“. Doch er ist auch Vermittler, wie er bei der Auseinandersetzung um die neue Synagoge in Potsdam immer wieder unter Beweis stellt. Und auch in der „Musik an der Erlöserkirche“ künstlerisch lebt.

„Farbe bekennen, kantig sein“. Diese Worte Joffes stehen auch über der neuen Saison, die von den 350 Menschen, die an der Erlöserkirche musikalisch wirken, mitgetragen werden. Heidi Jäger

Konzert am morgigen Donnerstag, 19.30 Uhr, Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Str. 10/11

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })