Kultur: Das Leben – eine Show
Alexander Osang stellte im Waschhaus „Lunkebergs Fest“ vor
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Alexander Osang stellte im Waschhaus „Lunkebergs Fest“ vor In hellgrauem Anzug sitzt die Journalistenkoryphäe Alexander Osang am Montagabend auf der Bühne im Waschhaus und blinzelt gegen das Scheinwerferlicht. Die Wände sind in blaues Licht getaucht, fast könnte der Autor den schönen DDR-Sprecher in seinem Roman „Nachrichten“ geben, wenn nicht das türkisfarbene Hemd wäre, das auf einer Seite unordentlich über den Kragen der Jacke hängt. Zum vierten Mal ist Osang in Potsdam. „Ja, Hallo. Schön, hier zu sein“, sagt er. Und dass er „vielleicht“ mit der Titelgeschichte seiner gerade erschienenen Kurzgeschichtensammlung „Lunkebergs Fest" beginnen sollte. Vielleicht, das klingt aus seinem Mund seltsam rethorisch. Schließlich ist er einer, der weiß, was er will und es weit nach oben geschafft hat: Journalistikstudium in Leipzig, nach der Wende Chefreporter der „Berliner Zeitung“, seit vier Jahren lebt er mit seiner Familie in New York, als Kolumnist und Spiegel-Autor. Um das krisenreiche Weihnachten und Ostern herum hat Osang die meisten seiner elf Kurzgeschichten angesiedelt. Es geht um Paare, um Beziehungen, um Menschen so zwischen 35 und 45, für die jede „Bewegung“, anders als noch mit Mitte 20, tonnenschwer wiegt, mit Konsequenzen bis zum Tod. Seine Heldengestalten sind immer auch ein wenig Osang, sagt der Autor, sie sagen und fühlen alle Wenns und Abers, die auch ihm so durch den Kopf schwirren. Zum Beispiel Frank Lunkeberg, die Hauptfigur der Titelgeschichte. Ein grauer Durchschnittstyp mit durchschnittlichem Geschmack, Job und Bedürfnissen, der dazu auch noch ziemlich unvorteilhaft aussieht, kahler Kopf, mit einem Kinn, das übergangslos in Hals übergeht. Osang gibt, was er kann, um Lunkeberg zum Langweiler zu machen. Seine Freundin Cathrin hätte lieber einen originellen „Frankie“ gehabt, ist sich selbst Lunkeberg sicher. Mit „fremden Freunden“ feiern sie in der szenigen Altbauwohnung Weihnachten, anstatt wie immer bei Lunkenbergs Mutter in Oberschöneweide. Er fühlt sich unwohl, will am liebsten flüchten. Mit viel Gefühl für Stimmungen und Situationen nähert sich Osang seinen Helden. Von einem Protagonisten springt er in die Gedankenwelt des nächsten, lässt das Ich hinter der Fassade sprechen, was nicht gesellschaftsfähig ist, was nicht nach draußen darf. Die Welt eine große Show. Lunkenberg ein Feigling, der vor seinen Gästen die uncoolen Kamelhaarpantoffeln und die peinlichen CDs von Smokie, Status Quo und Elton John im Eisfach versteckt. Jeder Satz im Waschhaus ein Treffer. Das Publikum lacht sich von Geschichte zu Geschichte. Nichts zu spüren von den „grauen Alltagsmenschen und unromantischen Verlierern“, die der Literaturkritiker der „Süddeutschen“ den jüngsten Osangstorys zuschreibt. Das Publikum steht auf der Seite des „Zeit“-Rezensenten, der hat Osangs Komik mit der von Loriot verglichen. Mal lässt Osang Innen und Außen ganz still und handlungslos aufeinander prallen, so wie bei Lunkeberg, der sich wohl seiner selbst bewusst ist, aber trotzdem passiv bleibt. Sogar die furchtbare, rote Schlaghose, das Weihnachtsgeschenk von Cathrin, streift er über, unfähig, Stellung zu beziehen. In anderen Geschichten werden die Helden doch noch aktiv. Zum Beispiel Lindemann in „Kleine Tänzer“, der sich mit seiner Band für 5000 Euro verkauft. Auf einer Betriebsweihnachtsfeier bindet er sich einen weißem Bart um und singt englische Weihnachtlieder. Zum Schluss aber kriegt er seine innere Kurve und lässt raus, was raus muss. Egal, dass seine Geschichte niemanden im Publikum interessiert, er nimmt das Mikro und erzählt sie trotzdem. Und es tut ihm gut. Nachts, als er mit Wein am Fenster sitzt, löst sich die rostige Schraube im Kopf, endlich eine Melodie, ein Song, das ist ihm schon seit Jahren nicht passiert – von wegen „unromantischer Verlierer“. Als Reporter muss er sich disziplinieren. Als Literat kann er sich seine Wirklichkeit formen, das macht für ihn das Geschichten schreiben aus, sagt der Autor. Das Ostwestthema hat er abgehakt. Vielleicht ist er auch nach New York gegangen, um davor zu fliehen. Es freut ihn, als eine Zuhörerin nicht ganz sicher ist, ob er aus dem Osten kommt. Er mag die USA, die er oft verteidigen muss, so wie früher die DDR. Wahrscheinlich mag er sogar den fetten Amerikaner mit dem Gameboy, der im Flieger einmal neben ihm saß und über den er in „Die Flucht“ herzieht. Wahrscheinlich ist es genau das, was seine Looser-Figuren dann doch so sympathisch macht. Marion Hartig
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