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Kultur: Das Leben noch einmal retour

Potsdamer Autorin Ingrid Arlt stellt Roman vor

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In der Jugend hat wohl jeder Ideale, aber im Alter? Sind sie da nicht geschrumpft, demaskiert, ihrer illusionären Kräfte verlustig, was dem reifen Menschen meist nur Frust beschert? Bei der Potsdamer Autorin Ingrid Arlt scheint das nicht so zu sein. Die Informatikerin hat zwar erst jenseits ihres Berufslebens mit dem Romanschreiben begonnen. Doch wovon handelt ihr Erstling? Von den eigenen Idealen, von ihrer Jugend in der DDR, von ihrem privaten Lebensgeflecht, darin sie sich unter drei Männern entscheiden musste, vom konkurrenzbelasteten Verhältnis zu ihrer Schwester, der sie damals und vorübergehend den Liebsten stahl, um ihn doch wieder „gehen“ zu lassen. Letztlich von ihrer halbwüchsigen Enkelin. Dank ihres fragenden Kummers kommt ja das gelebte Leben der Oma noch einmal retour, um ganz neu bewertet zu werden.

Gelegenheit dazu war am Freitagabend bei einer gut besuchten, aber nicht unbedingt geschickten Buchpräsentation im Café 11-Line, einer Veranstaltung des Literatur-Kollegiums Brandenburg. An den Wänden „pointireale“ Frauendarstellungen des Berliner Grafikers MüCke32, die ob mangelnden Kunstsinns ziemlich platt und dekorativ wirkten. Das Buch „Omi, deine Ideale“ zerfällt in zwei Teile. Zuerst schildert die Autorin in einem manchmal recht langatmigen Stil die Konstellationen von damals. Sie berichtet von den drei Männern, mit denen sie es zu tun hatte, vom langen Schweigen ihrer gekränkten Schwester, vom Leben in den Sechzigern, wobei sie auch vor umständlichen Milieubeschreibungen nicht zurückschreckt.

Witz und Pfiff sind im durchlaufenden Text, aber auch lang geatmete Stellen. Im deskriptiven Stil beschreibt sie das Leben der Protagonistin im tiefsten Sachsen, ihr selbst zwar im Ansatz ähnlich, aber nicht etwa identisch: „Ich bin nicht Ina!“ Nun gut. Ingrid Arlt nutz diesen Text, um sich mit ihren Jugend- und Lebensidealen auseinanderzusetzen. Da ist zum Beispiel Bodo, ihr Compagnon beim Konzertieren. Er rümpfte die Nase, wenn sie, die Lyrikliebhaberin, sich mit den „Revoluzzern“ des Lyrik-Klubs trifft. Auch Anne hat andere Vorstellungen vom Leben, besonders wenn die eigene Schwester zur erbitterten Konkurrentin wird.

Vielleicht sucht Ina deshalb nach einem „ehrlichen Lebensglück“, welches sie, zumindest im Rahmen der 11-Line-Lesung, nicht fand. Ihre Lieblingslyrik, Heine, Goethe, Kunze, ist in den Text hineingestreut. Teil zwei gibt den Perspektivwechsel und damit die Gegenwart. Hier ist es die Enkelin Karolin, die mit Liebeskummer zur Omi kommt. Omi tröstet, Omi liest ihr Gedichte vor, Omi erzählt nun aus ihrem Leben, auch sie holte sich einstmals Rat am Grab ihrer Großeltern. In lockere Dialogform gepasst wird plötzlich alles lebendig und spannend, so wie es sein soll.

Es gehört ja zu den großen Lebensgeheimnissen, dass die heranwachsende Generation eher nach den Erfahrungen der Alten fragt, die Elterngeneration wird fast immer übersprungen und ignoriert. Karolin und Ina stellen auf einmal fest, trotz der „Familienbande“ einander überhaupt nicht zu kennen! Das dürfte die Regel sein. Schade, dass darüber, und wie Enkel und Omis zueinander passen, kein Gespräch zustande kommen wollte, über die Fremdheit in der eigenen Sippe. Das hätte man doch ein wenig vorbereiten können. Ingrid Arlt hat ihr Buch „allen noch kommenden Enkeltöchtern“ gewidmet, und allen, die Gedichte mögen. Arme Enkelsöhne Gerold Paul

Ingrid Arlt: „Omi, deine Ideale“, Wagner Verlag, 120 Seiten; 9,80 Euro

Gerold Paul

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