Kultur: Das Lob Gottes ohne Stress
Der Potsdamer Kirchenmusiker Wolfram Iwer feiert heute seinen 80. Geburtstag
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Schon vor einem Vierteljahrtausend konnte sich ein Kantor nicht nur der hohen Kunst widmen. Der geniale Bach musste den Knabenchor unterrichten, sich mit Behörden herumärgern und um jeden Orchestermusiker kämpfen. Der Kirchenmusiker hat eben das Lob Gottes zu organisieren. Das klingt zwar etwas nach Bürokratie, aber irgendwie scheint es zu stimmen, wenn man mit Kantoren ins Gespräch kommt. Doch wohl bei allen findet man das gleiche Anliegen: Mit der Musik vermitteln, was ihnen am christlichen Glauben wichtig erscheint.
Dazu gehört auch Wolfram Iwer, ein Ur-Potsdamer. Wenn man einen kleinen „Türspalt“ in Richtung Potsdamer Kirchengeschichte und Kirchenmusik öffnet, könnte es passieren, dass ein ganzes „Tor“ aufgeht und viele Jahrzehnte werden in Wolfram Iwers Erzählungen, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, lebendig. Schon als Kind faszinierte ihn die Kirchenmusik. Nachdem er sich das Orgelspiel bei einem Organisten abgeguckt hatte, setzte er sich selbst an das Instrument und spielte die Choräle, die in F-Dur komponiert wurden: „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ oder „Liebster Jesu, wir sind hier“. Es dauerte aber nicht lange, bis er auch die Tonarten G-Dur und C-Dur eroberte. Und so wurde Wolfram der Organist seines Vaters Erwin Iwer, der Pfarrer der Auferstehungsgemeinde war. Die reiche kirchenmusikalische Ausstrahlung Potsdams, besonders die der Garnison- und Nikolaikirche in den dreißiger und vierziger Jahren, übte auch auf den Pfarrerssohn eine große Wirkung aus. Schließlich wollte er sich selbst ganz und gar der Musica sacra widmen. Aber man rief ihn noch in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges zum Arbeitsdienst. Da war er gerade erst 16 Jahre alt.
Als der Hitler-Spuk endlich ein Ende nahm, war er nicht mehr zu halten: Er bewarb sich an der Allgemeinen Hochschule für Musik in Berlin-Charlottenburg. Von 1946 bis 1951 studierte er dort Kirchenmusik. Er examinierte gemeinsam mit Johanna Schell, der langjährigen Kantorin der Propsteikirche St. Peter und Paul. Schon während seines Studiums hatte er die Kantorenstelle der Heiligengeistgemeinde inne, die nach der Zerstörung im April 1945 in der Französischen Kirche ein Asyl fand.
Aber bald wurden für Wolfram Iwer neue Weichen gestellt. 1953 ging er als Musiklehrer an das Kirchliche Oberseminar Hermannswerder, das zunächst nur junge Männer für ein Theologiestudium vorbereitete. Und in jenem Jahr heiratete er Adele Stolte, die Tochter des Superintendenten Konrad Stolte. Diese Ehe war und ist auch von musikalischen Gleichklang geprägt, wie Wolfram Iwer sagt. Die Sopranistin, die zu den bekanntesten Sängerinnen nicht nur in Sachen Bach wurde, sowie der Musiklehrer und Kantor von Hermannswerder mussten von nun an die vielfältigen Verpflichtungen in der Familie mit drei Kindern und ihrer Berufe in Einklang bringen.
Doch wenn die Zeit von Adele Stolte es zuließ, gestaltete das Ehepaar Musikalische Vespern in Hermannswerder. Auch das gemeinsame Konzertieren im Land sowie Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen wurden immer mehr. Wolfram Iwer wurde wohl der sensibelste musikalische Begleiter seiner Frau. Bei jedem Konzert oder jeder Vesper spürte man als Zuhörer, dass ein Gleichklang zwischen beiden bestand, dass Musik und Wortverkündigung nicht voneinander zu trennen sind.
Als man die Nikolaikirche wieder aufbaute, fragte sich Wolfram Iwer, wie man die komplizierte Akustik in Griff bekommen würde. Und eines Tages wurde er gebeten, sich als Kirchenmusiker-Nachfolger von Hanna-Maria Schuster zu bewerben. Am 1. Mai 1981zur Wiedereinweihung wurde der renommierte Kirchenmusiker Kantor von St. Nikolai. Gottesdienste, Musikalische Vespern waren zu gestalten. Legendär wurden die von ihm ins Leben gerufenen und bis heute veranstalteten Adventssingen Potsdamer Kirchenchöre, bei dem natürlich auch sein Nikolaichor das Sagen hatte. 1993 ging Iwer in den Ruhestand, vielmehr in den „Unruhestand“. Denn in Sachen Kirchenmusik ist er nach wie vor unterwegs, in Berlin-Schlachtensee, in Klein-Glienicke und vor allem in St. Peter und Paul in Nikolskoe, dort, wo er schon 1948 seine ersten Konzerte an der Schuke-Orgel bestritt. Das Lob Gottes organisieren muss Wolfram Iwer schon lange nicht mehr. Es macht Freude, dieses Lob auch ohne Stress anzustimmen. Klaus Büstrin
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