Kultur: Das Quäntchen Subversion
Das Hans Otto Theater setzt in der neuen Spielzeit vor allem auf Brisanz
Stand:
Was soll das Theater? Dieser irrsinnige Aufwand? Mehr als 600 Veranstaltungen hat das Hans Otto Theater im vergangenen Jahr kreiert, mehr als 600 Abende – und Matineen – und damit 109 000 Zuschauer erreicht. Genau so viele also wie schon 2013 und 2012. Und natürlich ist es den Aufwand jedes Mal wert, weil es am Ende immer darum geht, wie die Menschen zusammenleben können. Wie sie einander wehtun, sich lieben, sich solidarisieren oder verraten.
Das soll, so Intendant Tobias Wellemeyer, auch in der kommenden Spielzeit so sein: „Wir haben uns für Themen entschieden, mit denen sich brennende Fragen der Gegenwart spiegeln lassen“, sagte er am Dienstag, als das Programm für das kommende Theaterjahr vorgestellt wurde. Ein solcher Spiegel – unter den 22 Neuinszenierungen, die geplant sind – dürfte Maxi Obexers dokumentarisch angelegtes Stück „Illegale Helfer“ sein. Sie macht darin genau das, was zeitgenössische Dramatik im Grunde immer soll: Sie findet einen neuen Blick. In diesem Fall auf die zwar heftig geführte, dabei aber doch kaum an der Oberfläche kratzenden Debatte um Flüchtlinge. Abseits aller politischen Dimensionen guckt sie dem Thema direkt ins Herz. Sie hat Bergbauern, Verwaltungsrichter, Anwälte und Studienräte befragt, Menschen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die die restriktive Asylpolitik ihrer Länder ignorieren – und den sogenannten Illegalen auf illegalem Weg helfen. Menschen, die es nicht so schert, dass sie dadurch selbst straffällig werden oder werden könnten. Subversion also. Dafür soll Theater eigentlich immer der Ort sein – und wenn sie schon in der echten Welt da draußen existiert, darf sie auch gerne auf von der Bühne zurückgespiegelt werden. Von dort leuchtet der Funke der Idee, dass Angst um den Besitzstand nicht die einzig mögliche Reaktion auf das Leid der anderen sein muss, vielleicht noch ein bisschen heller.
Das Brisante findet sich aber nicht nur in neuen Stoffen, sondern auch – sonst wären es ja keine – in den Klassikern. Henrik Ibsens „Peer Gynt“ etwa, dem Drama um den vaterlos und am Rande der Armut aufgewachsenen Peer. Einem, dem seine Heimat zu eng ist, weil sie ihm nichts bieten kann, der auszieht – und doch nirgendwo richtig hineinzupassen scheint. Der als Sklaven- und Waffenhändler zwar reich wird und am Ende doch leer in seine Heimat zurückkehrt. Ein moderner Egomane, „getrieben von unstillbarem Verlangen nach Entgrenzung, Besitz und Befriedigung“.
Inszenieren wird „Peer Gynt“ Alexander Nerlich, natürlich nicht ohne seinen Bühnenbildner Wolfgang Menardi. Die beiden haben schon in den vergangenen beiden Spielzeiten mit „Urfaust“ und den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ abgründige Stoffe so präzise umgesetzt, dass sie noch lange nach der Vorstellung in den Eingeweiden der Zuschauer rumorten. Bei „Peer Gynt“ belassen sie es auch nicht, Nerlich und Menardi werden außerdem Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ auf die Bühne bringen, inzwischen auch ein Klassiker, geschrieben 1932 und noch immer eine Dystopie um optimierte Menschlichkeit – das Ausradieren von Widersprüchen und Konflikten – von großer Relevanz.
Überhaupt ist es seltsam und traurig, wie aktuell manches über die Jahre bleibt. Rainer Werner Fassbinders „Katzelmacher“ von 1968 etwa, das Andreas Rehschuh inszenieren wird – eine Geschichte um eine sprachlose und gelangweilte Jugend, die ihren Frust in bester Nazi-Diktion an Jorgos auslässt, der aus Griechenland kam, um in München zu arbeiten.
Dass Jugendliche aus verschiedenen Ländern sich auch nahekommen können, zeigt der Gegenwartsdramatiker Roland Schimmelpfennig in seinem Stück „Das schwarze Wasser“, das das Hans Otto Theater als zweites Haus in Deutschland überhaupt auf die Bühne bringt – und damit übrigens auch die neue Spielzeit eröffnet. Bei einem nächtlichen Ausflug ins Freibad treffen deutsche und türkische Jugendliche aufeinander, Trennendes finden sie unter dem Sternenhimmel nicht, klopfende Herzen und magische Momente aber sehr wohl. Doch als sie sich 25 Jahre später wiederbegegnen, sind die Deutschen Anwälte, Zahnärzte, Innenminister. Die türkischen Freunde von einst: Imbissbesitzer, Zahnarzthelferin, Kassiererin. „Die Gesellschaft hat ihr Chimärenantlitz enthüllt, als Monster mit zwei Köpfen“, sagt Chefdramaturgin Ute Scharfenberg.
Mag sein, dass das alles jetzt nach viel schwerem Stoff klingt, nach großer Ernsthaftigkeit. Das ist natürlich Quatsch, denn Theater wäre nicht Theater, wenn es im Gewichtigen, im Wesen der Dinge, nicht auch Lust, Witz und Frivolität erkennen würde. Zu einer der meistgespielten zeitgenössischen Dramatikerinnen hat Yasmina Reza nicht zuletzt ihr abgründiger Humor gemacht, Tobias Wellemeyer inszeniert mit „Kunst“ ihre Persiflage auf das Mittelstands-Bewusstsein, in der ein weißes Quadrat auf weißem Grund zum Sprengstoff werden kann.
Dabei heißt es doch bei Brecht: „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm.“ Dem großen deutschen Dichter ist in der kommenden Spielzeit ein ganzer Liederabend gewidmet, zu Recht natürlich, denn außer das Theater zu revolutionieren, hat er außerdem mit seinen Songs Künstler wie David Bowie, Sting oder The Doors inspiriert.
Von einer Revolution der anderen Art erzählt Lutz Seilers Roman „Kruso“, mit dem der Wilhelmshorster Autor 2014 den Deutschen Buchpreis gewann. Elias Perrig bringt das Stück um die eingeschworene Gemeinschaft auf Hiddensee, die mit dem Ende der DDR zerbricht, auf die Bühne. Da braucht man eigentlich nicht fragen, was das alles soll, das will man sich einfach möglichst schnell ansehen.
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