
© Andreas Klaer
Kultur: Das Recht auf gute Bauten
Eine Diskussion über Sinn und Zweck des Urheberrechts für Architekten
Stand:
Was ist Kunst? „Wenn ich es wüsste, würde ich es für mich behalten“, sagte Picasso. Und klar: Wenn es schon das Maler-Genie des 20. Jahrhunderts nicht wusste, streitet sich die Öffentlichkeit erst recht immer wieder um diese Frage – vor allem wenn es um Architektur geht, um öffentliche oder halböffentliche Gebäude, den Raum also, den alle nutzen. Wer entscheidet da über bauliche Eigenheiten, wann und unter welchen Voraussetzungen darf etwas verändert werden – kurz: Wer hat die Entscheidungshoheit bei Umbaumaßnahmen – der Architekt? Der Eigentümer? Und sollte die Öffentlichkeit, die das Gebäude nutzt, auch ein Wörtchen mitzureden haben?
In der Bundesstiftung Baukultur diskutierten am Donnerstagabend der Jurist und Urheberrechtsspezialist Christian Czychowski und der Architekturkritiker Olaf Bartels über Sinn und Zweck des Urheberrechts für Architekten. Und auch wenn es trocken klingt: Das Thema ist brisant. Das zeigt der aktuell in Potsdam tobende Streit um das Gitter im Treppenhaus des Potsdam Museums am Alten Markt – und direkt gegenüber dem neuen Landtag. Eine „käfigartige Konstruktion“, die den schönsten Blick auf das Stadtschloss versperrt, sagen die einen. Eine ästhetische Entscheidung des Architekten, sagen die anderen.
Ein Gutachten von Christian Czychowski – in Auftrag gegeben vom Eigentümer, dem Kommunalen Immobilienservice (KIS) hatte der Konstruktion schließlich urheberrechtlichen Schutz attestiert. Veränderungen sind damit nur aus fachlichen oder technischen Gründen möglich. Rein ästhetische Gründe zählen nicht – es sei denn, der Architekt Reiner Becker willigt ein. Die einzige Möglichkeit, das Gitter auch ohne Beckers Zustimmung loszuwerden, ist der Abriss des kompletten Geländers – ein juristisches Risiko, das die Stadt aber offenbar eingehen will.
Zu dem Fall, der sich liest wie eine Lokalposse, wollte sich Christian Czychowski bei der Diskussion am Donnerstagabend nicht äußern – befangen, lautete seine Antwort. An Beispielen für Triumph und Schwächen – oder Versagen – des Urheberrechts mangelte es ihm trotzdem nicht. Streitigkeiten zwischen Architekten, Bauherren und Öffentlichkeit sind gar nicht so selten.
Bekanntestes Beispiel ist vermutlich der Berliner Hauptbahnhof. Dort hatte die Deutsche Bahn eine Flachdecke im Untergeschoss eingezogen – anstatt der vom Architekten Meinhard von Gerkan geplanten Gewölbedecke. Der klagte vor dem Berliner Landgericht – und bekam recht. Sein Entwurf sei „erheblich entstellt“ worden. Letztlich blieb die hässliche Decke aber drin, von Gerkan und die Deutsche Bahn einigten sich auf einen Vergleich: Rund acht Millionen Euro zahlte die Bahn an die von Gerkan ins Leben gerufene gmp-Stiftung, die die Ausbildung junger Architekten unterstützt.
Weniger glimpflich ging es für den Urheber eines anderen Bahnhofes aus: Beim Streit um den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs gab der Bundesgerichtshof einer „modernen und funktionsfähigen Verkehrsinfrastruktur“ den Vorrang vor den Interessen des Architekten. Geklagt hatten dort allerdings nur die Enkel von Paul Bonatz (1877-1956). Das mag der springende Punkt gewesen sein, denn das Urheberrecht hat eine Art Halbwertszeit: „Als Faustregel gilt: Je länger ein Gebäude steht, umso stärker nimmt die Kraft des Urheberrechts ab“, sagte Czychowski.
Dazu aber muss es erst einmal in Kraft treten. „Tatsächlich ist es nicht so, dass jedes Gebäude automatisch urheberrechtlich geschützt ist“, so Czychowski. Zweckbauten fielen ohnehin nicht darunter, bei allen anderen Gebäuden müsste jeweils ein Gericht entscheiden. Durch das Urheberrecht geschützt sind Bauwerke, die sich „aus der Masse des alltäglichen Bauschaffens herausheben“. So formuliert es der Bundesgerichtshof. Gefordert ist also eine bestimmte Qualität. Mit Geschmack, sagte Czychowski, habe das Urheberrecht aber nichts zu tun, ob die Architektur gut oder schlecht sei, spiele bei dieser Frage keine Rolle. Sein Sparringpartner auf dem Podium, Olaf Bartels, sieht es ähnlich. „Echter Geschmack hat damit zu tun, eine Urteilsfähigkeit zu entwickeln, es geht nicht um die Frage, ob, sondern wie etwas schmeckt.“ Vielleicht kein schlechter Ansatz, wie auch eine Zuhörerin findet: „Über die Jahrzehnte fällt ja immer etwas von dem in Ungnade, was ein, zwei Epochen früher gebaut wurde – und irgendwann wird es dann wieder rehabilitiert.“
Bartels machte noch mal an einem Beispiel deutlich, was mit Qualität gemeint ist. Er selbst sei auch kein Freund von Gerkans Architektur, er sei aber überzeugt: Mit dem ursprünglichen Entwurf hätte der Berliner Hauptbahnhof mehr Qualität gehabt. Dann aber, warf Czychowski ein, hätte Gerkan sich auch nicht auf eine Entschädigung einlassen dürfen. Sprich: Von der Verantwortung, der Öffentlichkeit den bestmöglichen Bahnhof zur Verfügung zu stellen, könne man sich dann auch nicht mit Geld freikaufen.
Das Problem: Das Urheberrecht ist nur als Privatrecht des Künstlers – in diesem Fall des Architekten – gedacht. „Ein Dilemma wird daraus dann, wenn die Interessen des Eigentümers mit denen des Architekten kollidieren“ , sagte Czychowski.
Er wünscht sich deshalb auch, dass die Öffentlichkeit als vierte Dimension in solche Urheberrechtsfragen einbezogen werden kann: „Juristisch hat man keinerlei Hebel, solange man nicht der Urheber ist.“ Das sei beim Thema Umweltschutz ganz anders. Anerkannte Umweltverbände nämlich haben ein besonderes Klagerecht. Hintergrund ist hier das Recht der Menschen auf unversehrte Gesundheit und Natur. In Finnland etwa sei das Recht auf eine schöne Umgebung im Gesetz verankert. Etwas Ähnliches müsste es auch hier in Deutschland und auch für Architektur geben, die schließlich ebenfalls zur Umwelt des Menschen gehört.
Wer aber hat die nötige Urteilskraft, um über die Qualität von Entwürfen oder fertigen Bauten zu urteilen – abseits der Architekten? In Potsdam gibt es neben dem besagten Gitter auch noch einen weiteren aktuellen Streit zwischen Architekt und Öffentlichkeit – und das auch noch direkt gegenüber vom Potsdam Museum. Der Adler im neuen Plenarsaal soll – nach Ansicht des Architekten Peter Kulka – nicht rot, wie bisher, sondern weiß sein. Alles andere wirke für ihn wie ein Blutfleck auf der weißen Wand und würde die leichte, moderne Innengestaltung zerstören. Viele Landtagsabgeordnete aber hängen an der Tradition – für sie muss Brandenburgs Wappentier rot sein. Weil es außerdem massive Proteste aus der Bevölkerung gab, zeichnet sich inzwischen ein Farbwechsel ab.
Damit stellt sich – wie auch beim Gitter gegenüber – die Frage, wie glücklich Architekten darüber sein könnten, hätte die Öffentlichkeit mehr Mitspracherecht bei künstlerischen Entscheidungen.
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