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Die Schwingungen spüren. Simone Kabst ist offen für alles, was sie vorwärtstreibt.

© promo

Kultur: Das Risiko wagen

Simone Kabst beschwört die Liebe: bei „Im Garten vorgelesen“ und in „Onkel Wanja“

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Ihr Sommer ist gefüllt mit Liebe: mit der Liebe in Gedanken, mit dem verruchten Wagnis oder der verpassten Gelegenheit. Simone Kabst gibt derzeit vielen Frauen zwischen Aufblühen und Welken ihr spannungsreiches Gesicht. Gerade steht die Potsdamer Schauspielerin als Jelena in „Onkel Wanja“ auf der Bühne des Poetenpacks und spielt im lauschigen Q-Hof eine junge Frau, die es nicht wagt, das eigene Leben zu leben. Sie hat sich an der Seite ihres betagten Ehemanns, einem emeritiertem Professor, eingerichtet und bevorzugt die Sicherheit, statt den Mut aufzubringen, zu sich selber zu stehen. Sie verpasst die Liebe und das Leben.

„Die Liebe hat für mich sehr viel mit der inneren Freiheit zu tun. Deshalb wollte ich unbedingt diese Rolle spielen. Ich möchte zeigen, dass man seine Träume und Sehnsüchte erst nehmen muss“, sagt Simone Kabst, die auch selbst immer wieder das Loslassen und neue Wege wagt. Dieses Insichhineinhören und Wachsein gegenüber den leisen Schwingungen spürt man auch in dem Gespräch, für das sie die Ruhe der Arkaden der Friedenskirche gewählt hat. Mal im munteren Plauderton, dann wieder im nachdenklichen Innehalten beschreibt sie ihre Demut, die sie bei der Rolle der Jelena spüre. „Diese Tschechow-Figur zeigt, dass das eigene Unglück auch immer ein Unglück im Umfeld nach sich zieht, in der Familie oder in der Arbeit.“

Die seit neun Jahren in Potsdam wohnende freiberufliche Schauspielerin setzt sich derzeit mit ganz unterschiedlichen Lebens- und Liebesentwürfen in der Literatur auseinander. Vor allem Frauen, die für ihre Leidenschaft etwas aufs Spiel setzen, haben es ihr angetan und die wird sie auch am kommenden Sonntag in der Urania-Veranstaltung „Im Garten vorgelesen“ mit ihrer warmen charismatischen Stimme im Schatten der Bäume des Ehepaars Flemming vorstellen – in drei heiteren, sehr unterschiedlichen Geschichten von dem feinsinnig-erotischen Autor Guy de Maupassant. Da geht es zum Beispiel um eine brav auf dem Land lebende verheiratete Frau, die sich nach den verruchten Liebesnächten in Paris sehnt. „Sie bringt so viel Chupze auf, sich tatsächlich auf ein Liebesabenteuer einzulassen. Doch sie wird enttäuscht. So viel zur Illusion der Liebe“, sagt sie und lacht. Das Risiko zu leben, offen zu sein für den Moment, auch wenn man enttäuscht wird, das entspricht Simone Kabsts eigenem Lebensspruch: Für die Überraschung das Risiko wagen.

Das tat die Leipzigerin auch, als sie mit 16 Jahren trotz des Verbots der Eltern an den Montagsdemonstrationen teilnahm. Oder als sie gleich nach dem Mauerfall auszog, um den Westen kennenzulernen. Sie studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart und war die einzige Ostdeutsche in ihrem Studienjahr. „Das war nicht nur lustig.“ Das Leben so naiv zu nehmen, wie sie es gelernt hatte, fanden manche Kommilitonen eher befremdlich. Am Theater Oberhausen im Ruhrgebiet spürte sie wieder die direkte unverfrorene Art, die dem Osten so ähnlich war und die sie mochte. Dort verwirklichte sie ganz eigene Projekte, wie ihr Solo der „Eisprinzessin“ in der Regie der Potsdamer Regisseurin Franziska Meletzky, für das sie den Oberhausener Theaterpreis erhielt. „Ich habe eine gewisse Ader, die Dinge in die Hand zu nehmen.“ Oder auch konsequent Dinge abzulehnen. Wie die Rolle der Amalie in Schillers „Räuber“. Stattdessen spielte sie lieber in einem Kinderstück mit. Auch die Hauptrolle in einer ARD-Fernsehserie schlug sie aus. In diesem Fall war ihr die Tochter wichtiger, die gerade in die Schule kam. „Ich brauche die unbedingte Freiheit, Wertigkeiten abzuwägen. Diesen Mut habe ich mir in zwölf Jahren auf dem freien Markt mühsam antrainiert.“ Dieses strenge Training zieht sich bis in die Familie hinein. So coachen sie sich gegenseitig: Simone Kabst und ihr Mann Jörg Hartmann, bekannt aus der Serie „Weißensee“. „Inzwischen sind wir gnadenlos im Urteil. Dadurch haben wir uns weitergebracht. Natürlich gibt es auch den Konkurrenzgedanken, sagt man sich manchmal: Man ist der gut, der macht das besser als ich. Aber im Endeffekt ist es eine lohneswerte Strapaze. Es fördert das bewusste genaue Spiel.“ Simone Kabst arbeitet auch nach der Premiere an ihren Rollen weiter, um freier in der Bewegung und im Moment zu sein. Auch ihre Jelena lotet sie in ihrer Verzweiflung und Anlehnung immer tiefer aus.

Die Sprache ist dabei ihr Metier. Aber inzwischen setzt sie auch ihren Körper immer bewusster ein, um Zustände auszudrücken. Der Anstoß kam von der Schaubühne Berlin, wo sie mit einem Tänzer von Sasha Waltz zusammenarbeitete. „Da würde ich gern weitermachen.“ Und so nimmt sie neben ihren Verpflichtungen als Schauspielerin und Gastdozentin an der Filmhochschule Babelsberg auch Tanzunterricht. „Mit meinen 39 Jahren bin ich zwar nur noch manchmal ein junger Hüpfer, aber für alles, was mit Schwingungen zu tun hat, bin ich offen.“

Und diese Schwingungen führen sie mitunter auch vom Theater weg. Sie taucht gern in fremde Leben ein, um sich neu für den Schauspielerberuf zu rüsten. Beobachten, die Menschen akzeptieren ohne Vorverurteilung – das ist ihr wichtig. Wochenlang fuhr sie durch Ostdeutschland und fotografierte übriggebliebene selbstgeschmiedete Zäune, schaute, welche Blüten der Mangel in der DDR damals getrieben hatte. Und sie interviewte die Erbauer der mit Schiffen, Teddybären oder Seepferdchen verzierten Zäune, was schließlich in einer Ausstellung in der Konrad-Adenauer-Stiftung Berlin mündete.

Als Freiberuflerin hat sie das Überleben gelernt und auch die Kunst, die freie Zeit zu nutzen, wenn keine Angebote kommen. „Sich füllen, um wieder zu geben“, nennt sie es heute. Dann liest sie eben die fünf Bücher auf dem Nachtschrank. Bis irgendwann der Moment kommt, wo sie das eigene Kribbeln beim Lesen an das Publikum weitergeben kann: wie sie es jetzt von der Gartenlesung erhofft.

Auch auf eine spannende zweite Rolle beim Poetenpack musste sie zehn Jahre warten. Und dann war da diese tolle tiefgründige Figur der Jelena – genau zur richtigen Zeit. Simone Kabst ist offen für alles, was sie vorwärtstreibt. So wie die Liebe.

„Im Garten vorgelesen“ am Sonntag, dem 24. August um 15.30 und 19 Uhr, im Hausgarten von Evelyn und Christian Fleming, Eichenallee 26.

Die nächste Vorstellung von „Onkel Wanja“ ist am 24. August um 20 Uhr im Q-Hof, Lennéstraße 37

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