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Kultur: Das trunkene Schloss

Rebecca Horn präsentiert ihre Meisterschüler in einer Ausstellung in Sacrow

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Vielleicht hat der Verein Art Sacrow ein wenig zu tief ins Glas geschaut? Jedenfalls hat er, unglaublich, aber wahr, die berühmteste deutsche Künstlerin als Kuratorin gewonnen, und wer da nicht gerne sein Glas erhebt, ist selber schuld, scheinen die Verantwortlichen, auch die Stiftung Preußische Schlösser und Garten, zu denken. Jedenfalls begrüßen sie in seliger Gemeinschaft die Meisterschüler von Rebecca Horn, die der verwegenen Schau den Titel „Das trunkene Schloss“ (Le château ivre) gegeben hat. Wer aber nun glaubt, dass diese Ausstellung von Meisterschülern der mit allen Medien gewaschenen und von allen Medien gefeierten Professorin der Universität der Künste, die heute im Schloss Sacrow eröffnet wird, aussieht wie eine Ausstellung von lauter „kleinen Rebecca Horns“, der hat sich geirrt. Auf die Frage, wie sie denn die Auswahl bei der von ihr kuratierten Ausstellung vornahm, antwortet international gefeierte Künstlerin so einfach wie überraschend zugleich: „Gar nicht“. Aber immerhin hofft sie, dass das Schloss "aufgemischt" werde „in irgendeiner Weise“. Und das ist vielleicht tatsächlich das, was die Meisterin allen Eleven mit auf den Weg gegeben hat: Freiheit gibt es, man muss sie nur finden.

So sagt denn auch Nataly Hocke, die 1999 Meisterschülerin bei Rebecca Horn war, dass es genau dieser Ansporn zur Freiheit sei, der sie am meisten geprägt habe. Und dass sie es toll fand, mit Rebecca Horn wenigstens auch eine Frau Professor zu haben. Trotz aller Freiheitsmöglichkeiten hat Hocke sich am engsten an das Ausstellungsthema angelehnt.

Das „trunkene Schloss“, in das die muntere Gruppe das Sacrower Schloss jetzt verwandelt, entstand aus Spaß an der phonetischen Nähe zu dem wohl berühmtesten Gedicht des wilden Arthur Rimbaud, dem „bateau ivre“, dem trunkenen Schiff. Darin schaukelt der Dichter metaphernreich und Ich-unsicher auf dem Fluss des Lebens. Nataly Hocke hat eine Barke im Schloss abgestellt, die allerdings alles andere als trunken daherkommt: sie ist mit einem schwarzen Tuch verhängt, weiß die Sitzfläche überflattert, dahinter lehnt (trunken?) funktionsuntüchtig ein Paddel an der Wand, und nur auf dem Foto mit dem Regenschirmknauf kommt das Nass in den Assoziationshorizont. Ansonsten liegt alles auf dem Trockenen, lediglich der Marmor von Markus Wüste zwei Räume weiter wirkt, als habe er viel schlucken müssen. Sieht er doch tatsächlich aus wie getropft, und der Eimer, aus dem er geschöpft worden scheint, ist steintrocken und ziemlich hart. Diese überraschend mit den Erwartungen an den Marmor jonglierende Arbeit gibt dem ehemaligen Herrschaftsschloss eine Leichtigkeit, die sich als Schwere entpuppt. Oder umgekehrt? Mit einem Farbenstrauß aus roten Japantulpen grüßt im Obergeschoß die Japanerin Megumi Fukada, die mit ihren künstlichen Blüten Hiroshima und Berlin miteinander in einen symbolischen Austausch brachte. Antonio Paucar inszeniert sein makabres Spiel von Leben, Jagd und Tod. Der ehemalige Imker hat Hunderte von Madenfliegen gezüchtet, um sie in einem ehemaligen Sanitärraum an Schnüren von der Wand zu hängen. Auf dem Boden liegen sie dichter beieinander und stellen die Umrisse einer toten Person dar. Daneben ein Geweih mit totem Tierkopf und ein Jagdgewehr. Barbara Ueber hat auf der dem Park zugewandten Seite ein großformatiges Foto des Parks aufgestellt, das sich als Suchbild entpuppt und (sich) selbst suchend den Park grüßt. Es gibt selbstherrlich vor, diesen abzubilden, dabei sind Details abhanden gekommen, manche Bäume stehen in so gerader Ordnung, wie es gar nicht in „Wirklichkeit“ ist.

Diese Kommunikation zwischen Parksicht und -abbild kann vielfältige Reflektion über unsere Wahrnehmung in Gang setzen. Das tun auch die Schwarz-Weiß-Fotos von Sabine Linse, die schon 1998 Meister wurde und nun Kinder im Wald so inszeniert fotografierte, dass man meint, der Wald habe mindestens eine zweite Wirklichkeit zu bieten. Daneben steht, allen Gesetzen der Ästhetik einigermaßen abhold, ein merkwürdiges Instrument von Nina Rhode, das sie „Windharfe“ nennt. Aber das ist nur ein Modell, denn sie will die Bäume im Park prüfen, ob die es erlauben, auf ihnen mit Gitarrensaiten und Windhauch tatsächliche Musik zu produzieren.

Trotz der Nichtauswahl, die Rebecca Horn postuliert, hat sie sicher, und das zeigt diese Ausstellung trotz aller Verschiedenheit, das geschaffen, wonach sich viele sehnen: sie hat eine Gruppe von Menschen zur Freiheit der Gestaltung und der Gedanken gebracht.

Lore Bardens

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