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Zeitzeugen-Gespräch zum 8. Mai: „Das waren irgendwie meine Leut“

Fast 100 Jahre deutsche Geschichte: Georg Stefan Troller ist 93 Jahre alt. Als Sohn jüdischer Eltern emigrierte er zur NS-Zeit, als US-Soldat kehrte er zurück. Ein Abend im Einstein Forum.

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Schöner hätte man den 8. Mai, den Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, gar nicht verbringen können: Georg Stefan Troller, Schriftsteller und Zeitzeuge, war ins Einsteinforum gekommen zu einem Abend, der mit „Denken an Deutschland“ eher lahm betitelt war. Lahm zumindest im Vergleich mit der Verve, mit der der 93-jährige Troller erzählte. Und es ging um viel: Die ganze Geschichte zwischen den drei historischen Daten, die sich 2014 jähren: 1914, 1939 und 1989. Troller kann von all dem noch berichten. Gero von Boehm, der den Abend moderierte, musste nur hie und da eine Frage einwerfen, das machte er gut – aber Troller hätte die Veranstaltung auch alleine bestritten.

Stoff hatte er genug. Da ist einmal seine Kindheit und Jugend im Wien der 20er- und 30er-Jahre, das schon lange vor dem Anschluss Österreichs an Deutschland vom Antisemitismus der übelsten Sorte geprägt war. Für Troller, Sohn eines jüdischen Pelzhändlers, war es „zutiefst verstörend, nicht dazuzugehören“. Der Kaiser hatte bis 1918 nur drei Schichten, auf die er sich noch verlassen konnte: „Die Armee, die Beamten - und die Juden.“ Doch alle Assimilation half nichts, der Hass kochte bei jeder Gelegenheit hoch. Als Zehnjähriger etwa spuckte Troller einmal auf der Straße aus, weil er Halsschmerzen hatte. Eine Frau brüllte ihn an: „Ich weiß eh, dass ihr Juden auf uns spuckt!“ „Ja, was willst du da sagen“, fragt Troller, noch heute ratlos angesichts der Feindseligkeit. Denn da kann man natürlich noch so viel analysieren – „Österreich war damals ein rückständiges Land, das sich zurück ins Biedermeier sehnte, es herrschte Massenarbeitslosigkeit, viele Wiener Juden aber erneuerten das Land, etwa durch die Mode, die Filmindustrie“ – alles erklären kann man damit nicht.

Schon gar nicht, wenn Troller dann weitererzählt. Sein Leben ist das beste Beispiel dafür, dass Hass nicht automatisch zu noch mehr Hass führen muss. Nach der Flucht über die Tschechoslowakei und Frankreich gelangte Troller schließlich nach Deutschland zurück – als US-Soldat. Weil er Deutsch sprach, befragte er für die US-Armee deutsche Kriegsgefangene. „Sicher, einerseits war das wunderbar, dass man plötzlich die Macht hatte – gleichzeitig waren das aber auch arme Hunde.“ Viele der Gefangenen waren gerade 18 Jahre alt, „die waren weiß Gott nicht kultiviert – aber irgendwie auch meine Leut“, sagt Troller mit seinem weichen Wiener Dialekt. Weihnachten 1944 hätten sie dagesessen und deutsche Weihnachtslieder gesungen – „Was soll man da sagen?“, fragt Troller wieder. „Die hatte ich lange nicht gehört.“ Das ist auch so etwas, das er aus all der Zerrissenheit gelernt hat: die widersprüchliche Bedeutung der Sprache. „Was mich von den Ariern trennte, war nicht die Religion oder die Nationalität – ich konnte ihre Sprache nicht, dieses Wollüstige, Positive, Speichelleckende.“ Und trotzdem ist das Deutsche seine Heimat, nach dem Krieg arbeitete er ab 1971 als Sonderkorrespondent des ZDF in Paris, drehte die legendäre Interviewreihe „Personenbeschreibung“. In allem, was er sagt und schreibt, schimmert er durch, dieser Sinn für die Absurditäten des Lebens. 1945 etwa war er an der Befreiung Münchens beteiligt, und als er und einige andere Soldaten dort in Hitlers Privatwohnung kamen, schrieb er seinem Vater einen Brief – auf dem Papier des Führers. Was für eine feinsinnige Sieger-Geste. 

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