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Kultur: Das Warten lohnt

Unidram zeigte „Die lange Nacht der Experimente“

Stand:

Wusch – Gong – Grrrr – Brrzzzz! So in etwa klingt es, als der Türsteher versucht, den Heiligen rauszuschmeißen. Der Eine ein Blechkanister auf zwei Stahlbeinchen, der Andere eine Flasche mit leuchtendem Lämpchen. Der Heilige Antonius, extra vom Himmel herabgestiegen, um eine Verstorbene wieder zum Leben zu erwecken, ist nicht willkommen. Aber gehen will er nicht. Als die beiden zusammenstoßen, kommt es zum Kurzschluss: Im Leib des Heiligen flackert es, der Türsteher ist abgeblitzt.

Es sind nicht die letzten Funken, die in der Produktion der „New Stage Company“ stieben. Hier wird geblitzt, geflackert, geschnarrt und am Ende sogar gelötet. Die Gruppe aus Minsk ist schon zum dritten Mal bei Unidram dabei, und wer am Dienstag drin saß, wusste, warum. „Das Wunder des heiligen Antonius“ war einer der Höhepunkte der „Langen Nacht der Experimente“ – so voller übermütiger Ideen und grotesker Experimentierfreude wie kein anderes Stück des Abends. Die Charaktere aus Maurice Maeterlincks Satire sind hier unverwechselbare Figuren aus Kanistern, Röhren, Lampen, Propellern und Scheinwerfern, die nicht sprechen, sondern lautmalerisch brummen, grunzen, schnattern. Ein Fest aus Materialtheater und Geräuschemacherei: urkomisch und unglaublich lebendig.

Nicht alle der sechs Beiträge der „Langen Nacht“ waren so originell. Um in den Genuss der „New Stage Company“ zu kommen, musste so manche Beschaulichkeit vorbeiziehen. Der Auftakt des Abends im Kunstraum etwa, „Mur Mur“ von der französischen Gruppe „Cie du Coin Qui Tourne“, ist zwar ein hübsches Kleinod des Figurentheaters, aber den großen Raum konnte es nicht füllen. Die weißen, zierlichen Figuren auf der Bühne waren zumindest aus den hinteren Reihen eher schwer zu erkennen, die Geschichte um zwei Männer, die einsam Wand an Wand leben und sich am Ende doch finden, sehr überschaubar. Die Berliner Gruppe „Grotest Maru“ versuchte sich erst gar nicht an einer Fabel, sondern beschränkte sich in ihrem Beitrag „Phalanx Bamboo“ auf das beeindruckende Herumschreiten auf meterhohen Stelzen im Schirrhof. Der Mond darüber und die langen Schatten auf der Schinkelhalle machten das zu einem zwar sehr ästhetischen, aber recht hohlen Erlebnis.

Ähnliches gilt für „Odotustila“, den zweiten Unidram-Beitrag der Finnen Ville Walo und Kalle Hakkarainen: schön, technisch brillant, aber sonst? Wer „Keskusteluja“ gesehen hatte, ahnte die Grenzen des digitalen Zirkuszaubers. Das Spiel mit dem eigenen Ich auf der Leinwand, die akrobatische Jonglage – schon beim zweiten Mal ist das Staunen weniger groß, die Sehnsucht nach Tiefe dafür um so größer. Schon ab Reihe drei hatte man zudem nur schwer Durchblick bis zur Bühne.

Das Bezaubernde an langen Nächten ist, dass Warten oft belohnt wird. So auch hier. Zwei tänzerische Beiträge boten wieder das, was man von einer „Nacht der Experimente“ erwartet: Verquerung, Verwirrung, Überraschung. „Ed“, eine junge Compagnie aus St. Petersburg, die sich erst letztes Jahr gründete und zum ersten Mal in Deutschland auftrat, zeichnete verstörende Einblicke in eine jugendliche, sehr harte, sehr einsame Welt. Die drei Tänzer in bunten Trainingsanzügen zucken wie im Drogenrausch über die Bühne, zitieren Ballett und Techno, Märchen und Actionfilme. Der Mix ist visuell fesselnd, ehrlich und unprätentiös, und erzählt vom Lebensgefühl einer ganzen Generation, von Sehnsüchten, Lebenshunger und Überdruss aus dem jungen, postsowjetischen Russland. Selten sind 35 Minuten so kurz gewesen.

„Qualcosa da Sala“, eine tänzerische Produktion mit der Italienerin Francesca Proia, stand am Ende der „Langen Nacht der Experimente“. Wer nicht bis hier gewartet hatte, ließ sich den erdigsten, verstörendsten Beitrag entgehen. Die Co-Regie von Proja und Danilo Conti schwebt irgendwo zwischen Yoga, Meditation, Beschwörung und dem japanischen Avantgarde-Theater Butoh. Proia tanzt nackt, das Gesicht durch eine bunt bemalte Maske verhüllt. Diese Mischung aus Verstellung und Bloßstellung lockt, irritiert, erschreckt. Im schwarzen Bühnenraum leuchtet immer wieder der nackte, fast urfraulich wirkende Körper auf: mal in sexueller Pose, mal akrobatisch verknotet. Dann legt sie ein Ei. Was gebiert die Frau da? Knacken kann man diese Bilder nicht ohne Weiteres, aber sie werfen Fragen auf. Und sie bleiben haften. Der fesselnde Abschluss einer nicht immer fesselnden Nacht. Bei allen Funken – ein paar mehr wären schön gewesen

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