Kultur: Das Zölibat brechen
Gerd Schneider kam mit „Verfehlung“ ins Thalia-Kino
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In gemeinsamer Stille schweigen. Das kann durchaus wohltuend sein. Doch wenn Stille aus Scham entsteht, wenn Schweigen zum Verbrechen wird, wenn eine Gemeinschaft aus den falschen Gründen zueinanderhält, dann bleibt von dieser Geborgenheit nichts übrig, dann bleiben nur Zweifel. Von solchen Zweifeln erzählt Gerd Schneiders Debütfilm „Verfehlung“, den er am vergangenen Mittwochabend im Thalia-Kino vorstellte und der vor allem eins ist: ein Appell an die Menschlichkeit.
Jakob Völz (Sebastian Blomberg), Oliver Gondek (Jan Messutat) und Dominik Bertram (Kai Schumann) sind gute Freunde, spielen zusammen Fußball, gehen miteinander trinken – und stehen alle im Dienst der Katholischen Kirche. Dann wird Dominik wegen Verdachts auf Kindesmissbrauch festgenommen und das Band der Freundschaft auf eine harte Probe gestellt. Während Oliver von Falschaussagen ausgeht, ist Jakob misstrauisch und beginnt Nachforschungen anzustellen. Als er schließlich auf die Wahrheit stößt, steht er vor der Entscheidung: sich gegen seinen Freund zu stellen und für die Wahrheit einzutreten und zugleich gegen eine Mauer des Schweigens sowie der Vertuschung vonseiten der Kirche anzukämpfen.
Was Regisseur und Drehbuchautor Schneider hier erzählt, ist nicht nur eine feinfühlige Geschichte von Freundschaft und Zweifeln, die der Frage nachgeht, ob man einen anderen Menschen jemals wirklich kennen kann. Es ist auch ein scharf beobachtetes Porträt der Katholischen Kirche, die sich in ihren absoluten Regeln selbst verliert. Ein Thema, das Schneider viel beschäftigt, wie er am Mittwoch erzählte. Denn der Filmemacher hat selbst Katholische Theologie studiert, strebte das Priesteramt an und ist erst nach dem Diplom zum Film umgeschwenkt. „Ich habe irgendwann einfach erkannt, dass meine Vorstellung von dem Beruf sich nicht mit der Wirklichkeit deckt“, sagte er und fügte lachend hinzu: „Außerdem wäre das Zölibat für mich zum echten Problem geworden.“
Für ihn seien die starren Formen, der Absolutismus des hierarchischen Systems, dem man sich voll unterordnen müsse, nicht mit seinen Wertvorstellungen vereinbar gewesen. „Es ist ja schon eine gewisse Doppelmoral, zum Beispiel geschiedene und dann neu verheiratete Menschen vom Abendmahl auszuschließen, aber auf der anderen Seite Vergebung für Täter zu predigen“, so Schneider.
Trotzdem verurteile er die Kirche nicht als solches, für ihn stellt sie durchaus eine wichtige Funktion in der Gesellschaft dar. Aus diesem Grund ärgert es ihn nur noch mehr, wenn sie sich so sturköpfig verhalte und nicht aus ihrer Haut heraus könne. Er räumte aber auch ein, dass unter Papst Franziskus bereits viele Änderungen ins Rollen gebracht wurden, die auch die intensive Auseinandersetzung mit Missbrauch innerhalb der Kirche einschließen. „Wichtig ist dabei eine prophylaktische Arbeit“, so Schneider. „Wenn man die Täter nur rausschmeißt, hat man damit das Problem noch lange nicht gelöst, man muss vielmehr nach den Ursachen forschen und dort ansetzen.“
Seiner Meinung nach müssten sich katholische Priester gerade aufgrund des Zölibatgebotes viel mehr mit der eigenen Sexualität auseinandersetzen, um ein inneres Gleichgewicht zu finden. „Die befinden sich oft auf dem sexuellen Stand eines 16-Jährigen und kommen damit nicht klar“, sagte er. Das sei keine Entschuldigung, aber erstmal eine Tatsache. Im Zuge seiner Recherche, die er bereits im Jahr 2006 begonnen hat, hat Schneider nicht nur mit Opfern sexuellen Missbrauchs, sondern auch mit Tätern gesprochen, was zum Teil durchaus schwierig gewesen sei. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen, verzichtet Schneider in seinem Film auf jegliche Schwarz-Weiß-Malerei und stellt jeden seiner Charaktere als verwundbaren Menschen dar, der mit seiner persönlichen Sprachlosigkeit umgehen muss.Sarah Kugler
„Verfehlung“ läuft täglich um 18.45 Uhr im Thalia-Kino, Rudolf-Breitscheid-Straße 50
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