Kultur: Delirium City
Alt-Punker Peter Schlangenbader und Clemens Wedel stellen auf der Freundschaftsinsel aus
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Es sind schon bizarre Gesellen, die sich da grellbunt zwischen den „tänzelnden“ Häusern versammeln. Der eine übergibt sich, der andere legt eine Spritze an, der nächste taumelt mit Bierbüchse durch die Menge. Dazwischen huscht die Riesenratte mit zwei hervorstehenden Raffzähnen. Auf dem Bild daneben fliegen sogar Fäuste. Und der, der dabei ein blaues Auge bezieht, ist der Maler selbst: Clemens Wedel.
Mit feinem Pinsel kommentiert er die Rauferei vor dem Szene-Haus „Wild Wedding“ mit dem Schriftzug: „Die Toleranz von Gewalt übersteigt die der geistigen Freiheit“. Dabei ist der Maler selbst keineswegs ein Unschuldsengel, wie sein „kunsttick.com“-Galerist und Freund Lars Kaiser zu berichten weiß. In diversen Kneipen Berlins und Potsdams hat er bereits Zutrittsverbot. „Der Graf vom Wedding“, wie der Maler genannt wird, hat es nämlich faustdick hinter den Ohren, vor allem wenn Alkohol mit im Spiele ist. Und so ist das Thema der Ausstellung „Delirium City“ im Pavillon auf der Freundschaftsinsel passgenau gewählt für die Arbeiten der beiden Alt-Punker Clemens Wedel und Peter Schlangenbader.
Letzterer hat sich mehr auf Köpfe versteift. Aber auch in ihnen brodelt es gehörig: Nackte Damen schweben dort nebst Handy, Dolch und Knarre und verheißen nichts Gutes. Die unschuldig-fragenden Augen, die aus dem fast braven Gesicht hervorschauen, sind ein starker Kontrast zu den Kopflasten, die der schmale lange Hals zu tragen hat. Hier ist das Delirium personell verortet und erzählt doch viel über das äußere Drumherum.
Peter Schlangenbader trägt seine rebellierende Punkerseele inzwischen eher zurückhaltend zur Schau. Mit 54 und Vater von zwei Kindern verändert sich die Wichtung, braucht es nicht mehr des Irokesenschnitts, um sich gesellschaftlich zu outen. Doch bei der Vernissage auf der Freundschaftsinsel zeigte er mit seiner Band Eisenstein, dass noch immer das Punkerblut in ihm kocht, und so ließ er beim wilden Schlagzeugspiel die Stöcke nur so durch die Gegend sausen. Seine Malerei in Öl ist dagegen geradezu diszipliniert – auch im Vergleich mit der comichaften Acrylmalerei seines 15 Jahre jüngeren Malfreundes Clemens.
Während Schlangenbader an der HdK Berlin Freie Malerei studierte, nachdem er eine Ausbildung zum Porzellanmaler bei KPM absolviert hatte, verweigerte sich Clemens Wedel seit seiner frühen Jugend allen akademischen Zwängen. Aus einer Adelsfamilie kommend, schüttelte er das Behütetsein unsanft ab. Als Kind war er des öfteren mit der Familie in Potsdam unterwegs. Schließlich reichten die Wurzeln bis ins tiefe Preußen hinein: Des Malers Urgroßvater war Oberstallmeister bei Kaiser Wilhelm II. Heute hält es Clemens Wedel nicht länger als zwei Tage in Potsdam aus: Alles ist ihm zu spießig, obwohl sein großer Traum ein Leben auf dem Lande mit Frau und Kind ist. Die zwei Seelen in seiner Brust kollidieren prächtig: sehr zur Freude der Kunst, die Reibung braucht.
Der Wedding bietet sie sowieso: krasser als dort zeigt sich das Leben in Berlin wohl nirgendwo. Aussteiger, Bettler, Punks, Ausländer und Arbeitslose bilden ein wildes Gemenge und die Alt-Weddinger im Café Schrader setzen dem ganzen die City-Krone auf. Der Fernsehturm neben Wedels „Kotz-Curry“, „Cine-MurX“, „Würger King“ und „Kauftot“ wirkt auf den Bildern wie eine preußische Pickelhaube, auch wenn ihr die Disziplin gehörig ausgetrieben wird. Gute Tage für Till Eulenspiegel, der augenzwinkernd seinem Schalk frönen kann.
Hinein ins „Delirium“ mitten auf Potsdams gepflegtem Eiland, das ist schon außergewöhnlich. „Es ist dem Winter geschuldet“, so Lars Kaiser. Sonst ist der Pavillon in dieser Jahreszeit immer geschlossen. „Wir haben uns mit der Stadt und dem Inselgärtner verständigen können, stattdessen Kunst zu zeigen, die normalerweise kaum Zugang zu öffentlichen Räumen hat und mehr in der ,Szene“ angesagt ist. Wir bekamen grünes Licht mit der Begründung: ,Im Winter kommt sowie keiner her“.“ Und wenn: Umso besser. „Delirium City“ piekt hinein ins pralle Leben und nimmt sich selbst nicht zu ernst.
Zu sehen bis 12. Februar, Di bis Fr 14 bis 17 Uhr, Sa und So 10 bis 17 Uhr.
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