
© C. Ablain
"Air" feiert auf dem "Made in Potsdam"-Festival Premiere: Dem Moment vertrauen
In „Air“ lassen die beiden Choreografen Malgven Gerbes und David Brandstätter drei Tänzerinnen über ihre Wurzeln und Träume nachdenken. Was herauskommt, ist ein Tanz über das eigene Leben.
Stand:
Tänzer tanzen, Schauspieler sprechen – diese klare Trennung hat es wahrscheinlich nie ganz gegeben. Und seit sich die verschiedenen Genres der darstellenden Künste immer mehr vermischen und gegenseitig befruchten, ist es augenscheinlich, dass Tänzer neben ihrer eigenen Profession auch wortmächtig sein können. Trotzdem ist das Projekt „Air“, das am Wochenende Deutschlandpremiere auf dem „Made in Potsdam“-Festival feierte, ein besonderes Produkt dieser Vermischung. Drei Tänzerinnen fanden sich unter der Leitung von Malgven Gerbes und David Brandstätter zusammen und reflektieren autobiografisch über ihre Wurzeln, ihre Prägungen und Träume.
Die Tänzerin I-Fen Lin ist auf einer Hühnerfarm in Taiwan groß geworden, Caroline Allaire unter der Sonne Nizzas und Katarzyna Chmielewska im kommunistischen Polen. Die Französin lernte zuerst Russisches Ballett und ging mit 16 ans Pariser Konservatorium. Die Taiwanesin war auf einer katholischen Mädchenschule und tanzte nach ihrer Ausbildung in Taipeh in einem Tanzensemble beim Militär. Und die Polin ging auf Wunsch ihres Vaters schon mit acht Jahren zum Danziger Nationalballett.
Zeit für Umwege
Zwischen ihren Ausbildungen und heute liegen ungefähr zwei Jahrzehnte. Davon, von ihren Wegen und Umwegen, erzählen die inzwischen etwa 40-Jährigen. Aber nicht nur in Worten, denn das, was sie erlernten und erlebten, hat sich in ihre Körper eingeschrieben: die Strenge und Schönheit des Balletts genauso wie die asiatische Kampfkunst und Beweglichkeit oder das polnische expressionistische Theater. Die drei zeigen immer wieder kurze Tanzsequenzen, erzählen mit Worten und ihrem Körper, im gänzlich weißen Bühnenraum. Dazu sind einige schwarz-weiße Filmsequenzen der Protagonistinnen zu sehen.
2013 lernten sich die Tänzerinnen in Berlin in einer Produktion von Malgven Gerbes kennen. In „Air“ ist vom ersten Augenblick an zu spüren, warum gerade diese Frauen zusammenfanden. Da gibt es keine Konkurrenz, sondern gegenseitiges Interesse und wertschätzenden Austausch. Und so etwas ist kostbar in den globalisierten Abläufen des modernen Tanztheaterbetriebes, indem man von Projekt zu Projekt lebt oder immer schneller zwischen verschiedenen Companien hin und her jettet. Die drei reflektieren dabei nicht nur die Höhepunkte der eigenen Entwicklung, sondern sprechen auch über ihre Enttäuschungen und persönlichen Gefühle. Katarzyna erzählt freimütig, dass sie ihre Ausbildung bei Anne Teresa De Keersmaeker aufgab – wegen Heimwehs nach Polen. Und I-Fen Lin ist glücklich über zehn Jahre in Pina Bauschs Wuppertal und die Erfahrung selbstbestimmten Lebens.
Dem Alter entgegentanzen
Jetzt stehen die Frauen auf dem (körperlichen) Zenit ihrer Karriere. Denn es gibt nur sehr wenige, denen es gelingt, bis ins fünfte oder gar sechste Lebensjahrzehnt zu tanzen. Wohl auch deshalb hat „Air“ etwas Existenzielles. Es ist für die Zuschauer zu spüren, dass diese Frauen in nicht allzu ferner Zeit einschneidende Entscheidungen treffen müssen, auch, wenn man ihnen jetzt noch nicht anzusehen vermag, wie „alt“ sie wirklich sind. Mitten im Leben das eigene berufliche Ende sehen und dabei auf den Moment zu vertrauen, ist ein Extrakt dieser 70-minütigen Aufführung, die humorvoll und leicht daherkommt. A. Priebs-Tröger
A. Priebs-Tröger
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