
© Manfred Thomas
Von Heidi Jäger: „Der Film hat mir den Arsch gerettet“
Jörg Schüttauf und Egon Günther beim Filmgespräch in der Reihe „Der ungeteilte Himmel“
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Dass Jörg Schüttauf mehr kann, als im „Tatort“ ermitteln, wissen vor allem die Potsdamer, die ihn als Amadeus oder Revisor auf der Bühne des Hans Otto Theaters erlebten. Der am Dienstag im Filmmuseum gezeigte Film „Lenz. Ich aber werde dunkel sein“ aus dem Jahre 1992 zeigte einen Schüttauf, der mit noch viel mehr Facetten zu brillieren wusste. Er spielte diesen mit Goethe befreundeten und von ihm fallengelassenen rebellierenden Dichter zwischen Hingabe und Aufbegehren, kindlicher Naivität und bis in den Wahnsinn getriebener seelischer Verletztheit. „Dieser Film hat mir sozusagen den Arsch gerettet“, sagt Jörg Schüttauf im Filmmuseum und wiederholt damit einen Satz aus dem Buch „Der ungeteilte Himmel“, das 19 Schauspieler zu Worte kommen lässt. Dieses spannend-unterhaltsame Porträtbuch von Ingrid Poss und Peter Warnecke ist Grundlage einer dreiteiligen Veranstaltungsreihe des Filmmuseums, die Schauspieler und einen ihrer wichtigsten Filme vorstellt. Am 4. März wird sie mit einer Foyerausstellung, in der Fotos der 19 porträtierten Schauspieler – von Inge Keller über Rolf Hoppe bis Jörg Gudzuhn und Anja Kling – zu sehen sind, beendet. Falls keine Dreharbeiten dazwischenkommen mit Michael Gwisdek auf dem Podium.
Das gehörte zum Auftakt erst einmal neben Jörg Schüttauf dem Regisseur Egon Günther. Der wusste bereits beim ersten Kennenlernen, dass Schüttauf genau der von ihm gesuchte Lenz sei. „Nicht nur, weil er so schön sächselte und so schön vorlesen konnte, was sich später als auswendig gelernt erwies“, witzelt der 82-Jährige. Auch von den so offenen, schönen großen blauen Augen des Darstellers zeigte sich Günther angetan, wie er im Gespräch bekennt. Und gießt damit wohl Öl ins Feuer Schüttaufs. Denn der kämpft schon seit geraumer Zeit mit der Bemerkung einer Regieassistentin: „Nun mach dir doch mal nichts vor, Jörg. Alles, was du bist, bist du durch deine Augen.“ Und fürwahr, gern schaut man in diese hinein. Doch was nützen die schönsten Strahleaugen, wenn sie nicht beseelt sind? Jörg Schüttauf kann indes Charaktere formen, und dieser stürmische Lenz ist einer davon. „Ein Stoff, der mich mehr forderte, als ,Hände hoch! Waffe weg! Wo waren Sie denn am Donnerstag?’ Ohne den Lenz wäre ich vielleicht immer noch ,Der Fahnder’ gewesen“, sagt der Caputher.
Dabei war Lenz die erste Filmrolle, die er sich eigentlich nicht zutraute. „Ich kann das nicht, ich bin Prolet, kein Dichter, ich kann jemanden Schlaues nicht spielen“, hatte er zu Egon Günther gesagt, als der ihm das Drehbuch zu lesen gab. Doch Günther ließ sich nicht beirren. „Jörg Schüttauf saß genau auf dieser Rolle und gab noch mehr, was ich gar nicht denken konnte.“ Er überschüttet während des Gesprächs, bei dem sich der Regisseur mitunter auch etwas verrennt, den Schauspieler förmlich mit Komplimenten. Doch Jörg Schüttauf fängt in seiner herrlich erfrischenden, offenen Art jedes aufkommende Pathos wieder ab. Während Egon Günther in seinen Erinnerungen schwelgt, wie toll die Dreharbeiten damals inmitten des Wendetrubels gewesen seien – „wir hatten keinen Boss über uns, keine DEFA im Nacken, ein Film, gedreht in absoluter Freiheit“ – erinnert sich Schüttauf auch an seine Bauchschmerzen. Er habe dem Beifall auf der Filmpremiere nicht geglaubt. „Aber das geht mir mit vielen Filmen so, dass ich denke, es hätte schneller, spritziger, witziger sein können.“
Von dem Grimme-Preis für „Lenz“ erfuhr er erst Wochen später, am FKK-Strand auf Elba. „Eine Regieassistentin oder war es die Garderobiere? – ich habe sie so splitterfasernackt nicht gleich erkannt – sagte zu mir: ,Dir muss es doch gut gehen nach diesem Preis.’ Von dem hätte ich schon gern vorher gewusst. Es machte mich ein bisschen traurig“, spricht er in Richtung seines „Meisters“ und gibt der beschwingten Stimme für eine Sekunde einen ernsten Unterton.
Egon Günther schwärmt indes von der DEFA und ihrer unglaublichen Facharbeitergemeinschaft mit dem riesigen Arbeitsethos, von den DDR-Schauspielern, die eine andere Energie, einen anderen Zugriff auf die Realität hätten als die West-Kollegen. Und er erzählt über den Druck des Geldes und der Zeit, die er im Westen zu spüren bekam. „Alles wurde misstrauisch beäugt.“ Und er versteigt sich zu dem Satz: „Die DEFA war freier als andere Filmgesellschaften“, um dann zu relativieren: „Es gab Leute bei der DEFA, die konnten beinahe alles machen, was sie wollten. Und ich gehörte wohl dazu.“ Egon Günther verließ 1978 die DDR, als ihm seine nichtrealistische Bildsprache vorgeworfen wurde, behielt jedoch den DDR-Pass. Gern hätte er die Zusammenarbeit mit Jörg Schüttauf nach „Lenz“ fortgesetzt, betont der Filmemacher und spricht über seinen seit Jahren im Schreibtisch schmorenden „Nietzsche“. „Um den zu verstehen, müsste ich jeden Satz drei Mal lesen“, entgegnet der 47-jährige Schauspieler, was nach Lenz wohl als Koketterie abgetan werden kann.
„Lenz“ ist erneut am Samstag um 18 Uhr im Filmmuseum zu sehen.
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