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Kultur: Der goldene Augenblick

Israelischer Fotograf in den Bahnhofspassagen

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Israelischer Fotograf in den Bahnhofspassagen Die Bahnhofspassagen haben eine kuriose Geschichte. Als Kommerzmeile geplant und von einem Beschluß der Stadtverordneten abgebremst, machte man aus einer Not eine Tugend und stellte die vielen leeren Ladenlokale für kurzzeitige Ausstellungen zur Verfügung. Was wie Stagnation aussieht, könnte aber auch wahrer Fortschritt sein: für den Konsum Tabu, etablierte sich die erste postmaterialistische „Mall“ Deutschlands. Auch eine Vision für Potsdam. Viele der Bilderschauen, wie die mit 29 Werken des israelischen Fotojournalisten Alex Levac „Unser Land Israel“, sind gewiß keine Weltsensationen, aber sie besitzen eine nonchalante Kraft, die sonst auf die eigenen Füße gerichteten Blicke auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkauf auf Wesentliches zu lenken, das tatsächlich weder in der Innenstadt, oder bald bei Karstadt noch im Sterncenter für Geld zu kaufen ist. Der Verein 300 Jahre Potsdam hat den Schwarzweiß-Fotografien mit Unterstützung der israelischen Botschaft und der deutsch-israelischen Gesellschaft bis zum 2. November eher provisorischen Raum gegeben. Ihre Harmonie, ihre positive Ausstrahlung und ihren ganz eigenen Humor entfalten sie, weltweit auf unzähligen Exhibitionen bewiesen, auch hier. Der fotografische Blick des 1944 geborenen Fotografen erinnert in seiner Gabe, den „goldenen“ Augenblick fest zu halten, jenen winzigen Punkt im chaotischen Gefüge des großen Weltgeschehens, aus dem durch seine Fixierung plötzlich eine Geschichte erwächst, die sich im Raum in fast gespenstischer Perfektion abbildet, an den großen, kürzlich verstorbenen Henri Cartier-Bresson. Alle der hier ausgewählten Fotografien sind in der israelischen Zeitung Ha’aretz erschienen, für die Levac seit Anfang der 80er Jahre arbeitet, und für die er u.a. die palästinesische Intifada dokumentiert hat. Hier geht es jedoch nicht um die Gesichter der Gewalt, es ist der liebevoll und mit Witz gezeigte israelische Alltag. Dass es den natürlich auch in Zeiten kriegerischer Konfrontationen immer noch gibt, ist die staatspropagandistische Botschaft der Schau. Eine Braut, ganz in Weiß, sitzt auf einem erhöhten Thron, Sonnenlicht fällt in langen Strahlen in den sonst menschenleeren Raum. Ein Moment der Ruhe vor dem Fest. Doch anstatt in die Zukunft zu lachen, verdeckt die Frau ihr Gesicht mit den Händen. Ist es Erschöpfung, ist es Kummer? Was wird als nächstes passieren? Levacs Fotografien sind wie hier Geschichten in nur einem einzigen Bild. Andere verblüffen durch Zufälligkeiten und Korrespondenzen, die nur ein begnadeter Beobachter aufspüren und festhalten kann. Ein Israeli mit Mobiltelefon am Ohr steht da vor einem Abbild Jesus, das aussieht, als ob der Messias auch gleich zum Hörer greift. Zwei kleine Jungen betrachten das Porträt des 1995 ermordeten Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin, der eine trägt ein T-Shirt mit einem Totenschädel. Ein Hund flüchtet, er hat eine Tüte Katzenfutter im Maul. Mundraub? Eine Ausstellung, ideal für den Feierabend, ideal, die Sinne für die Fülle an besonderen Augenblicken auf den Straßen – und den Shopping-Passagen der Stadt – zu schärfen. Matthias Hassenpflug Ausstellung bis 2.11. in den Bahnhofspassagen

Matthias Hassenpflug

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