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Kultur: Der Kinomann von nebenan

Das Thalia feiert am Samstag seinen zehnten Geburtstag nach der Wiedereröffnung

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„Es ist immer noch ein Ritt auf der Kanonenkugel“, sagt Thomas Bastian. Auch wenn das Thalia die schwierigste Klippe umschifft hat und trotz UCI überlebte, muss sich das Programmkino nach jedem Zuschauer strecken, um nicht in roten Zahlen zu versinken. Im vergangenen Jahr halfen solche Filme wie „Sommer vorm Balkon“ oder „Das Leben der anderen“, auf stattliche 160 000 Besucher zu kommen. Doch das jetzige Jubiläumsjahr lässt sich eher mau an. Die Sonnentage bringen den versierten Kinomann zusätzlich ins Schwitzen. Denn da zieht es die Leute eben mehr ins Freie. Wie hält man dagegen? Thomas Bastian liebäugelt mit der Idee, Open-Airs auf die Freundschaftsinsel zu bringen: am liebsten drei bis vier Monate lang, mit vier Vorstellungen die Woche, inklusive dem Dienstag-Kinotag. Doch noch sind nicht alle Genehmigungen eingeholt. Vielleicht klappt es ja bis Samstag zur großen Party – was sicher eines der schönsten Geschenke wäre.

Zehn Jahre ist es her, dass man den Kino-Experten von Stuttgart nach Potsdam ins gerade aufgemöbelte und ausgebaute Thalia holte. „Ich hatte nur zehn Tage, um mich zu entscheiden.“ Er reiste mit Campingmöbeln an und wohnte die ersten Wochen in einer Ferienwohnung am Schlaatz. Inzwischen hat er sich in Geltow häuslich niedergelassen, wenn er nicht gerade – wie zumeist – im Thalia die Geschäfte am Laufen hält und sich keineswegs zu schade ist, auch mal selbst die Karten zu verkaufen oder abzureißen.

Seine ersten zwei Potsdam-Jahre bediente Thomas Bastian den Mainstream-Geschmack. Nur mit der Reihe „Play it again“ richtete er schon mal eine Nische für das Besondere ein. „Wir schafften es damals auf fast 300 000 Besucher und konnten somit die größten finanziellen Belastungen des sieben Millionen Euro-Umbaus abzahlen.“ Dann kam im Dezember 1999 das Multiplex nach Potsdam und fortan drohten dem technisch hochmodernen Kino im Kiez die Felle wegzuschwimmen. Drei Viertel des Publikums brach weg. „Es hat ein bisschen gedauert, bis wir uns entschieden hatten, nunmehr auf ein Programmkino, dem Arthouse, zu setzen. Doch der Mut war da, mir zu vertrauen. Durch unser anspruchsvolles Kino grenzen wir jetzt natürlich das Hauptpublikum aus: Junge Leute zwischen 16 und 23 sind bei uns eher selten. Fans von Tokio Hotel haben mit unserem Programm Probleme. Dafür kommen vielleicht Sympathisanten von der Kampagne gegen Wehrpflicht.“ Stolz ist er vor allem auf sein „ausgefuchstes Kinderkino“ und ganz besonders auf die Reihe „3 plus 1“, die sonntags drei Säle für Erwachsene und einen für Kinder öffnet – die dabei betreut werden. Und wieder freut er sich, Neues aus der Taufe zu heben: Das erste Kinderkino-Open-Air ab Anfang Mai im hauseigenen Kinogarten.

Wer, wie das Thalia, vor allem das deutsche Kino hofiert und die Hollywood-Marke unter zehn Prozent hält, hat natürlich auch bei den Filmcrews gute Karten. 30 Gespräche fanden im vergangenen Jahr statt. Die Fotodokumentation von Manfred Thomas und Paul Schicketanz „Thalia Art – Kinokünstler in Babelsberg“ wird ab Samstag davon erzählen. Auch in der jetzigen Geburtstagswoche gibt es neue Motive, geht es Schlag auf Schlag mit den Gästen weiter: Heute kommen die Regisseure des tschechischen Films „Rail Yard Blues“, Donnerstag Dani Levy mit seiner Komödie „Mein Führer“ und am Freitag Adolf Burger, dessen Erinnerungen aus dem KZ Sachsenhausen die Vorlage für „Die Fälscher“ waren.

Die richtigen Filme auszusuchen, sei natürlich die größte Kunst: „Wenn wir die Resonanz schon immer vorher wüssten, säßen wir auf den Bahamas und würden von dort aus die Filme bestellen.“ So aber bleibt es beim Risiko und beim Vertrauen auf Kopf- und Bauchgefühl. „Man darf keine Angst vor einem Flop haben. Und bleibt der Erfolg aus, sage ich meinem Team: ,Ihr habt es trotzdem gut gemacht“.“

Wenn auch etwas abgehoben im Anspruch, fühle sich das Haus dennoch fest verwurzelt. „Für ein Arthouse-Kino sind wir zwar ein unglaublich großer Bunker, aber ich glaube, trotzdem gemütlich geblieben. Und ich denke, wir sind sehr nahe an den Leuten dran. Wir arbeiten mit den Turbine-Fußballfrauen genauso wie mit der Bürgel-Schule.“ Als Mitglied des Aufsichtsrats ist ihm natürlich Babelsberg 03 besonders ans Herz gewachsen. Und um die Elf zu puschen, wird er zur Babelsberger Live-Nacht eine neue Liaison eingehen: mit dem Filmpark Babelsberg und dem Lindenpark. Auch wenn er in der Nordkurve sitzt, ist er ganz der Kinomann von nebenan. Jüngst wurde er von Punks angesprochen, ob er nicht einen amerikanischen Punkfilm im Foyer zeigen möchte, dort wo man auch rauchen und ein Bier trinken könne – was bei so einem Film eben dazu gehöre. „Man kann“, denkt Thomas Bastian und wird auch das deichseln. Wie ihm gestern morgen auch die Idee kam, sich an die Uni „anzudocken“. Dem Abgesang als Stadt der Wissenschaft möchte er ab Herbst den Auftakt einer Reihe entgegensetzen: mit wissenschaftlichen Filmen oder Filmen, die das Thema Wissenschaft aufgreifen. „Dazu laden wir Experten ein, die sagen können, was von dem Gezeigten stimmt und was nicht.“ Ganz im demografischen Trend liegt er mit „ Silberstreifen“, einer Reihe speziell für Senioren, die am 2. Mai mit „Die Herbstzeitlosen“ beginnt.

Bei so viel Input, dürfte dem Jubilar eigentlich nicht bange sein. Doch wenn sich der Zuschauer im Thalia auch freut, nach fünf Minuten die Werbung hinter sich zu haben, sieht das Thomas Bastian mehr mit einem weinenden Auge. „Wir scheinen als Arthouse für die Firmen eine schlechte Adresse und so haben wir 80 Prozent unserer Werbeeinnahmen in den vergangenen drei Jahren verloren.“ Es bleibt also der Ritt auf der Kanonenkugel. Bis zum nächsten Sommer vorm Balkon.

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