zum Hauptinhalt

Kultur: Der lachende Sieger

Walter Flegel las aus seiner neuen Erzählung „Unter der Schlinge“

Stand:

Walter Flegel las aus seiner neuen Erzählung „Unter der Schlinge“ In seinem neuesten Buch schildert Walter Flegel einen ehemaligen Oberst der Nationalen Volksarmee, der sich zwei Jahre nach der Wende einen Strick um den Hals legt. Zum ersten Mal in seinem Leben ist er frei, über sich selbst zu bestimmen. Und diese Freiheit will der ehemalige Oberst nutzen, um zu sterben. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er keine Aufgabe mehr und ihm ist klar, dass es keinen Menschen gibt, der ihn vermissen wird. „Unter der Schlinge“ heißt diese Erzählung, die Ende letzten Jahres erschien und aus der Walter Flegel vorlas. Die Buchhandlung Internationales Buch war gedrängt voll mit einem weitgehend begeisterten Potsdamer Publikum, dem Walter Flegel seit Jahrzehnten bekannt ist. 1934 in Freiburg (Schlesien) geboren, besuchte Flegel in den fünfziger Jahren eine Offiziersschule und studierte in den sechziger Jahren Literatur. Bis 1986 war er als Militärhistoriker in Potsdam tätig, wo er nach wie vor als freier Schriftsteller lebt. Der Kontakt zur Außenwelt sei für sein Schreiben notwendig, erzählte der Autor im anschließenden Gespräch, und zwar ein Kontakt des sich Einbringens, nicht nur des Beobachtens. Dieser Kontakt bestand in früheren Tagen aus dem Alltag bei der Armee, weshalb sein Schreiben nach wie vor aus diesem Umfeld schöpft. Heute betreut Walter Flegel unter anderem verschiedene Literatur-Gruppen. Sein Werk umfasst neben Erzählungen und Romanen auch Hörspiele, Drehbücher, Theaterstücke und Kinderbücher („Darf ich Jule zu dir sagen?“). Ein hohes Ziel hatte Walter Flegel sich mit „Unter der Schlinge“ gesetzt. Er wollte ein Individuum schildern, das in eine existentielle Situation gerät, in der er sich entscheiden muss zwischen Leben und Tod. Jeder könne in solch eine Situation geraten, jeder könne durch Schicksalsschläge, Zufall oder eigene Schuld an einen Punkt getrieben werden, an dem sich die Frage stelle, ob das Leben noch lebenswert sei. So wehrte sich Walter Flegel gegen die Bemerkung aus dem Publikum, dass „Unter der Schlinge“ wie geschaffen sei für ehemalige Angehörige der Nationalen Volksarmee. Es schildere genau die Konflikte und Erfahrungen, die solche Männer seit der Wende umtreiben. Wenn das tatsächlich nicht zutrifft, obwohl es Betroffene so empfinden, ist das Buch trotzdem nicht derart allgemein gehalten, wie Walter Flegel es gerne hätte. „Das Gefühl war geblieben ... Dass vierzig Jahre seines Lebens wertlos gemacht werden. Dass vierzig Jahre delegitimiert und viele Menschen kriminalisiert werden. Dass die Schweiger, die Täuscher und Lügner zu Helden gemacht werden, und die Widerrufer ihren Lohn erhalten. Dass mehr und mehr Menschen das Gefühl eingegeben wird, sich rechtfertigen zu müssen, dass sie in der DDR gelebt und für sie gearbeitet haben. Dass viele meinen, beteuern zu müssen, dass sie für nichts etwas können, um sich jeder Verantwortung zu entziehen." Das Buch ist also für die Menschen aus der ehemaligen DDR geschrieben, die alt genug sind, um sich die Frage zu stellen, die Flegels Verleger Klaus Huhn so formulierte: „Hab ick umsonst jelebt?“ Und Walter Flegel schenkt diesen Menschen kein Individuum, sondern einen Helden, der forsch voranschreitet, heraus aus Suff, Verwahrlosung, Todessehnsucht, Gleichgültigkeit. Denn Walter Flegel wünscht sich, dass es den Betroffenen gelingt, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Die Hauptfigur der Erzählung ist eine Gut-Mensch-Idealisierung, zu der jedes wirkliche Individuum zwar begeistert aufschauen kann, vor der es aber die eigene „Unzulänglichkeit“ schamvoll verstecken muss. Doch es tut gut, wenn einer mal sagt, was gesagt werden muss, wenn einer mal lachender Sieger ist und all das schafft, was im wirklichen Leben nicht ganz so glatt verläuft. Ob es aber auch gut tut, Plattheiten und holprige Sätze zu lesen? „,Für Tiere muss man sich Zeit lassen. Wie für Menschen.'' Das klingt nicht wie dahingesagt, sondern nach Erfahrung. Er blickt dem Jungen nach, dann wendet er sich dem Hund wieder zu.“ Dagmar Schnürer Walter Flegel „Unter der Schlinge“, Spotless-Verlag Berlin 2003, 206 Seiten, 10 Euro.

Dagmar Schnürer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })