
© Katie Simpson
Kultur: Der lange Weg zur Blockhütte
Ralf Wilhelm Schmidt hat sein Atelier am Schlaatz und schwelgt bildkräftig in der Üppigkeit der Natur
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Den Schokoladenkuchen hat er selbst gebacken. Auch die Kräuter und Tomaten, die neben dem Wäscheständer auf dem engen Balkon fast in den Mund hineinwachsen, sind seine Zucht. Und sie schmecken köstlich. Ralf Wilhelm Schmidt ist nicht der vergrübelte Künstler, der sich in seinen Elfenbeinturm zurückzieht. Er ist ein Mann der Tat und verbrachte sein halbes Leben im Wald als Forstarbeiter. Heute lebt er am Schlaatz. Das allerdings nicht, weil er die Ecke so liebt, sondern weil die Miete noch bezahlbar ist.
Wenn man sich die grauen Stufen bis in die oberste Etage hinaufgearbeitet hat, tritt man in ein erstaunlich großes helles Zimmer. Keine Schrankwand und statt Couchgarnitur ein Liegestuhl aus Bambus. Nur ein schlichtes selbstgebautes Regal steht unterm Fenster. Der Blick fällt sofort auf die Staffelei, wo eine Frau am Meer langsam Konturen annimmt. Der barfüßige Mann in Leinenhosen und mit dem zum Zopf gebundenen blonden Haar hat dem Neubau-Charme entgegengebürstet. Schließlich muss er in den zwei Zimmern nicht nur leben, sondern auch arbeiten. Und das heißt für ihn seit zwei Jahren Zeichnen. Oft bis in die Nacht. Als wenn er etwas nachzuholen hätte. Alles steht ordentlich an seinem Platz. An die 300 Bleistifte, mit denen Ralf Willhem Schmidt in monatelanger akribischer Arbeit fast fotografisch genau riesige Landschaften auf Papier zaubert, stecken angespitzt im Becher. Eine Holzeisenbahn wartet in der Ecke, um einmal in der Woche vom zweijährigen Sohn Fynn gefahren zu werden, der bei der Mutter wohnt. Notizen an der Wand erinnern an die nächsten Aufgaben, die erledigt sein wollen. Fotos von Frida Kahlo hängen dazwischen. Eine Künstlerin, die Ralf Wilhelm Schmidt in ihrer künstlerischen Aufrichtigkeit zutiefst verehrt.
Während der 42-Jährige mit ruhiger Stimme von dem großen Bruch und Neuanfang in seinem Leben erzählt, dreht er sich eine Zigarette und schaut auf die Weide vor dem gegenüberliegenden Plattenbau. „Ich hätte mir das Leben hier trister vorgestellt, wo so viele Menschen auf einem Haufen zusammengepresst sind.“ Dennoch sucht er dringend nach einem Atelier im Grünen, denn immer wenn er an der Staffelei steht und die Bohrmaschine im Nebenhaus dröhnen hört, mit der seit Wochen saniert wird, muss er den Bleistift beiseite legen. Er braucht Konzentration.
Auch ist der Raum zu klein, um sich in seinen Seen, Flüssen und Bäumen auszubreiten und sie im Abstand betrachten zu können. Sie sind ausladend, seine Bilder, wie das von der Eiche, das derzeit mit vielen anderen in der Sommerausstellung „Garten Eden“ im „Kunstkontor“ in der Bertinistraße zu sehen ist.
Ralf Wilhelm Schmidt schwelgt in der puren Üppigkeit der Natur, die er einzig mit dem Bleistift in Hunderten von Stunden erkundet. Die Natur, die den gebürtigen Luckenwalder von klein auf begleitete und ihn zur Arbeit mit Holz in die Tischlerlehre führte. Dann kam er in einen Betrieb zur Innenraumgestaltung, wo mit viel Westmaterial für die gehobene Schicht gebaut wurde. „Ein Parteibetrieb. Nichts für mich.“ Er ging in den Wald, machte seinen Abschluss als Forstwirt und wurde Brigadier. Wohl an die 100 000 Bäume hat er gepflanzt, Laub- und Nadelbäume, um der Monokultur der Kiefern ein Ende zu bereiten. „Das hört sich entspannt an, war aber harte Knochenarbeit. Zwei bis drei Tonnen mussten wir täglich bewegen und das in dicken Schnittschutzstiefeln und -hosen, in der 57 Grad herrschten. Dazu die schwere Motorsäge.“ Ein Bandscheibenvorfall und kaputte Knie waren die Folge.
Doch das war nicht allein der Grund, dass er sich vor gut zwei Jahren vom Wald verabschiedete, jedenfalls beruflich. Es fehlte mehr und mehr das Geld zur Aufforstung. „Es ging nur noch um die Holzernte.“ Ein Schröpfen, das ihm gegen den Strich ging. Anfangs hat Schmidt nach seiner Arbeitszeit noch Stecklinge gesetzt, sie gegossen und mit Humus bedeckt. Irgendwann stieß er an seine Grenzen, spürte, dass er nicht wirklich etwas verändern kann. „Und das Leben besteht ja nicht nur aus Geldverdienen.“
Da gab es vor allem den Traum, sich ein eigenes Blockhaus zu bauen. Wenn möglich am Wasser. Und als Selbstversorger. Alles im Einklang mit der Natur. Ralf Wilhelm Schmidt belegte Kurse, um die richtigen Handgriffe zu lernen. Ständig las er neue Bücher. Dabei fiel ihm ein Zeichenbuch in die Hände mit filigranen Abbildungen von Kräutern. Er begann sie abzumalen, ohne zu wissen, wohin es führt. So gelangte er auf eine neue Lebensspur. Er belegte Zeichenkurse, lernte verschiedene Techniken und Leute kennen und ließ sich nicht abschrecken, dass er die Aufnahme an der Universität der Künste in Berlin nicht schaffte. „Von 500 Bewerbern kamen nur 20 in die engere Auswahl. Da hatte ich in meinem Alter wenig Chancen.“ Und er sagte sich: Male weiter und stelle aus, was ihm im Heimatmuseum Luckenwalde und in der Altstadtgalerie Teltow bereits gelang. Und nun erstmals auch in Potsdam, wo er seit vergangenem Jahr wohnt. Seine Lehrmeister sind Dürer, Da Vinci, Caspar David Friedrich. Er zeichnet sie ab und versucht, sich in ihren Schaffensprozess hineinzuversetzen, in ihren Umgang mit Licht, Perspektive und Komposition. Er fasst zusammen und entwickelt daraus etwas Neues, Eigenes: lichtdurchflutete Bilder mit einer sanften Wohligkeit. Davon leben kann der Autodidakt noch keineswegs. Noch hält er sich mit HartzIV über Wasser. Aber er lässt sich nicht entmutigen. Dass er im November an der ART Brandenburg teilnehmen kann, ohne Mitglied im Verband zu sein, gibt ihm weiteren Rückenwind.
Der Schlaatz ist für ihn nur Zwischenstation. Die Weide reicht auf Dauer nicht als Ersatzgrün aus. Auch nicht die Spielplätze, die er gern mit Fynn besucht, mit den Klettergerüsten aus Akazienholz. Das Blockhaus bleibt sein Traum.
Auf dem Weg dahin gibt es noch viel zu tun: Rötelzeichnungen, Kalender-Porträts, Villa Massimo. So steht es auf dem Aufgabenzettel. „Ich brauche eine gute Übersicht. Umso mehr Ordnung, umso mehr Zeit fürs Malen.“ Gerade ist seine Hauptguckzeit, schwärmt er früh und abends mit dem Rad aus, um Motive auszuspähen. „Wenn ich etwas finde, setze ich mich hin und beobachte. Ich warte, was mit dem Licht passiert, wie der Wind durch die Blätter geht, welche Tiere vorbeikommen. Das kann dauern, manchmal vergehen zwei Stunden, bis sich der Bildausschnitt im Kopf festsetzt. Und irgendwann denke ich nicht mehr.“ Dann beginnt das Bild zu entstehen. Der Tau auf dem Spinnenetz, die Ente am Teich, ein alter knorriger Baum, den man förmlich ächzen hört.
Die Ausstellung in der Galerie Kunstkontor, Bertinistraße 16 B, ist bis zum 26. August zu sehen, Di und Mi 15 bis 19 Uhr, Do 15 bis 20 Uhr, Sa 13 bis 18 Uhr
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