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Kultur: „Der Mensch muss denken!“ Poetenpack-Premiere:

„Leonce und Lena“

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Logik ist nicht alles, aber alle Logik ist nichts, wenn der Geist ihr partout nicht folgen kann. Wie kommt zum Beispiel in Büchners Stück „Leonce und Lena“ jene Szene zustande, wo sich das gerade noch maskierte Titelgespann, als wundersames Automatenpaar durch König Peter vermählt, erst nach der Trauung erkennt, obwohl es doch gemeinsam in den deutschen Zwergen-Hof von Popo einzog, und miteinander tanzte? Wie soll man in der gleichnamigen Inszenierung vom „Poetenpack“ den ersten Funken von Liebe zwischen den beiden erahnen, wenn Leonce, für die oberen Reihen unsichtbar, tief am Boden lümmelt? Und ist, mehr als hundert Jahre nach der späten Uraufführung (1896) dieses miserabel gebauten Stückes, nicht mehr daraus zu holen, als man am Mittwoch bei der Premiere im Q-Hof es über weite Strecken sah ?

König Peter forderte doch extra: „Der Mensch muss denken“, selbst wenn es auf Kantische Weise geschieht. Um sich selbst in den Ruhestand zu befördern, will er endlich seinen Infanten Leonce (Peter Fieseler) mit der Prinzessin Lena (Anja Reßmer) aus dem Nachbarlande Pipi verheiraten. Doch unabhängig voneinander fliehen beide gen Italien, wo sie sich unbekannterweise verlieben. Bevor das ausgerufene Utopia des plebejischen Vaganten Valerio ausbricht, endet das Stück. Zum Glück!

Bis vor zehn Jahren wurden in der Lennéstraße noch Kühe und Schweine gesichtet, nun aber hat diese freie Theatergruppe dort Unterschlupf gefunden. Gespielt wurde im Geviert des Innenhofes vor einer rötlichen Rückblende, dazu standen einige flache Versatzstücke bereit, um die weitgehend horizontal (erdnah) angelegte Inszenierung trotz erheblicher Fetenmusik in der Nachbarschaft über die Bühne zu ziehen; der Fluglärm (Jets, Hubschrauber, Mauersegler) waren ohnehin sehr störend.

Andreas Hueck ist mit dem Stück nicht zurecht gekommen, seine bis zur Pause träge und dröge hinplätschernde Inszenierung hat weder Kern noch Richtung, die Figurenbeziehungen sind teils jammervoll gebaut, erst die vom Publikum mitinszenierten Parts brachten spätes Leben in den Laden. Büchner war ein junger Hitzkopf. Mit Spott auf den stets überschätzten „Werther“, die Empfindsamkeit der Klugen und zur literarischen Vernichtung deutscher Kleinstaaterei hat er sein Stück völlig überladen. Das Verhältnis zwischen Leonce und Lena entspricht einem dürren Kammerspiel, die Szenen bei Hofe der Satire, die offene Textstruktur dem Sturm und Drang. Genauso hat Hueck inszeniert. Hier muss der Mensch tatsächlich viel denken, sonst langweilt er sich.

Traditionell wird diese Aufgabe Leonce zugeschrieben, aber das stimmt nicht, sein Misstrauen gegen alle Ideale prädestiniert ihn doch eigentlich als rezeptive Leitfigur für ein ähnlich fühlendes Publikum. Beim „Poetenpack“ aber war er, bar jeder Gegenwehr, dem respektlosen Valerio (Thomas Mai, wenigstens lebhaft) ausgeliefert. Ein dürrer Part ohne Feuer und Subtext – wie Lena auch nur ein hehrer Hauch. Andrea Brose gibt die Gouvernante wie eine solche, indes Justus Carrière (König Peter, Zeremonienmeister, Zöllner) das satirische Element dieses langen Abends zu befördern wusste. Fazit: Wenn sich die Darsteller langweilen, tut es das Publikum auch; folgt aus einer Szene nichts, so taugt sie auch nicht; hübsche Einfälle allein tragen keine Vorstellung. Daniel Zeller gab im Hintergrund leichte Klarinettenmusik, Summa – wie die Pausenversorgung, so hätte man sich auch die ausverkaufte Premiere gewünscht.

Nächste Aufführungen 29. und 30. Juni, jeweils 20 Uhr.

Gerold Paul

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