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Kultur: Der Nackte – ausgemergelt, aber stolz
Voltaire in der provokanten Darstellung von Pigalle. Friedrich finanzierte sie mit
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Auf 6000 Quadratmetern im Neuen Palais, verteilt auf 72, zum Teil erstmals zugänglichen Räumen, präsentiert sich derzeit die große Jubiläumsausstellung „Friederisiko“ zum 300. Geburtstag von Friedrich II. Knapp 1500 Exponate sind noch bis zum 28. Oktober zu sehen, 1000 davon gehören zur Ausstattung des Neuen Palais. In den kommenden Wochen stellen die PNN an dieser Stelle einzelne Ausstellungsstücke vor, die viel auch über Friedrich II. erzählen und erklären können.
Ein absoluter Star der Friederisiko- Ausstellung „thront“ in der Friedrichs-Wohnung: Der nackte Voltaire in einer Marmor-Darstellung von Jean-Baptiste Pigalle. Das drittgrößte Kunstmuseum der Welt, der Louvre in Paris, hat die originale Statue für ein halbes Jahr als Leihgabe nach Potsdam geschickt. Schließlich gehörte der französische Dichter und Philosoph zu den wichtigsten Inspiratoren des preußischen Königs.
Der französische Mathematiker, Physiker sowie Briefpartner Friedrichs des Großen, Jean-Baptiste le Rond, genannt D’Alembert, teilte 1770 dem preußischen König in einem Schreiben mit, dass Mitglieder einer literarischen Gesellschaft in Paris, darunter auch der berühmte Diderot, Voltaire mit einer Statue ein Denkmal setzen wollen. Eine lebende Persönlichkeit bereits so zu ehren war durchaus ungewöhnlich, wenn, dann stand es nur Monarchen zu. Für die Voltaire-Plastik musste Geld gesammelt werden. D’Alembert klopfte auch bei Friedrich an und bat um Geld. In dieser Zeit hatte sich das um 1753 tief zerstrittene „Freundespaar“ Friedrich und Voltaire wieder versöhnt und man korrespondierte regelmäßig.
Der preußische König antwortete D’Alembert auf dessen Anfrage hoch erfreut: „Ich könnte mich nicht, ohne undankbar zu sein, Ihrem Vorschlag entziehen, zu dem Denkmal beizutragen, das ihm die öffentliche Dankbarkeit errichtet. Sie brauchen mich nur wissen zu lassen, was man von mir verlangt. Ich werde für diese Statue nichts abschlagen. Sie wird den Schriftstellern, die sich daran beteiligen, mehr Ehre machen als Voltairen selbst.“ Und weiter schrieb er in dem Brief, dass Voltaires Werke alle großen Baudenkmäler überdauern werden, beispielsweise den Louvre, die Peterskirche, und selbst wenn einst die französische Sprache vergehen werde, würden seine Werke in eine neue Weltsprache übersetzt werden. Der Preußenkönig beteiligte sich mit 200 Louisdor an dem Denkmal.
Der Pariser Bildhauer Jean-Baptiste Pigalle wurde mit der Arbeit beauftragt. Er gehörte neben Antoine Houdon und Francois Gaspard Adam zu den bedeutendsten Bildhauern Frankreichs. Auch Friedrich war von der Gestaltungskunst Pigalles begeistert. Im großen Rondell unterhalb des Schlosses Sanssouci ließ er die beiden Plastiken Merkur und Venus, die der Franzosen-König Ludwig XV. ihm schenkte, aufstellen. „Er hat die Bildhauerkunst auf den höchsten Gipfel gebracht“, schrieb der Preußen-König bereits in seiner „Eloge du baron de Knobelsdorff“ (1754) über Pigalle.
Als die marmorne Figur des Voltaire im Jahre 1776 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, erregte sie Unmut, ja, sie barg auch einen Skandal in sich, denn die nackte Darstellung eines alten Mannes hat es bis dato nicht gegeben. In der Antike wurden zwar junge Helden nackt dargestellt, aber einen Menschen in seiner körperlichen Hinfälligkeit auf einem Baumstumpf sitzend mit einem kahlem Schädel und einem ausgemergelten Körper und hervortretenden Adern, die Blöße zwar mit einer Papierrolle bedeckt, darzustellen, war ungewöhnlich. Die damals meist übliche Idealisierung war bei Pigalle nicht zu finden. Vor dem zu erwartenden Spott bat Voltaire den Bildhauer jedoch, ihn nicht kleidungslos darzustellen. Doch letztlich willigte Voltaire in seine nackte Darstellung ein. Er wollte sich nicht der künstlerischen Freiheit entgegenstellen. Es könnte sogar sein, dass der Philosoph mit der Ausdruckskraft in der Darstellung seines Gesichts höchst zufrieden war. Der Kopf ist nämlich stolz in die Höhe gehoben und Voltaire schaut in die Ferne, die Augen hell, sie sprühen große Intelligenz aus. Ein feines Lächeln umgibt seinen Mund. Die Skulptur will den Triumph des Geistes und die Grenzen der Materie sichtbar machen.
Friedrich der Große schrieb 1770 an Voltaire: „Es ist durchaus gerechtfertigt, dass Sie noch zu ihren Lebzeiten sich der öffentlichen Dankbarkeit erfreuen sollen, und dass ich an dieser Ehrung durch Ihre Zeitgenossen einigen Anteil nehme, habe ich doch so viel Genuss an ihren Werken gefunden. Erhalten Sie weiter Ihre Gesundheit, damit Sie noch auf Ihre alten Tage das Jahrhundert erleuchten können, das sich Ihres Besitzes rühmen kann und das den Wert dieses Schatzes zu ermessen weiß.” Voltaire vererbte die Pigalle-Plastik seinem Großneffen. Der stiftete sie 1807 dem Institut de France. 1962 kam „Voltaire“ in den Louvre. Von da an wurde er in der Gestaltung von Pigalle erstmals öffentlich präsentiert. Klaus Büstrin
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