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Die Keupstraße in Köln. Am 9. Juni 2004 zündete der NSU hier vor dem Friseursalon Özcan eine Nagelbombe.

©  dpa

Diskussion in Potsdam: Der NSU und wir

Zwei Journalisten diskutierten in Potsdam über das Ineinandergreifen von rechtem Terror und Alltagsrassismus

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Natürlich haben wir nichts gegen Ausländer. Aber wie reagieren wir, wenn die eigene Tochter einen Schwarzen oder Muslim heiratet? Oder anders gefragt: Wie viel Rechts steckt in uns allen? „Wir machen es uns gerade unglaublich gemütlich“, sagt Andreas Speit. Die NSU-Täter sitzen schließlich auf der Anklagebank – aber „wie deren Ideologie in der Gesellschaft verankert ist, wird ausgeblendet“. Alle starren auf die Gewalttäter, während gleichzeitig etwa die Ressentiments gegen Flüchtlinge zunehmen. Der Journalist und Rechtsextremismus-Experte Speit war am Mittwochabend in die Landeszentrale für politische Bildung gekommen, um zusammen mit der Autorin und Journalistin Sabine Rennefanz über „Rechten Terror in Deutschland“ zu sprechen.

Der kam aus keinem Vakuum, schreiben die Medien, wenn es um den Prozess gegen Beate Zschäpe geht. Kaum jemand aber hat aus so persönlicher Perspektive nach diesem Nährboden gefragt wie Sabine Rennefanz in ihrem Essay „Uwe Mundlos und ich“, der im Dezember in der Berliner Zeitung erschien. Sie war 15, als die DDR unterging, Mundlos, der spätere Neonazi aus Thüringen, 16. „Die drei Rechtsterroristen haben mich an mich selbst in dieser chaotischen Nachwendezeit erinnert“, sagt Rennefanz, die in Eisenhüttenstadt aufgewachsen ist. Das klingt radikal – aber Rennefanz war einfach ehrlich: 1994 organisierte Mundlos mit Kameraden in Chemnitz ein Treffen zum Todestag von Rudolf Hess, Hitlers Stellvertreter. „Im selben Jahr driftete ich ab“, schreibt Rennefanz in ihrem Essay. Sie war gerade zum Studium nach Hamburg gezogen, kannte niemanden dort und fühlte sich fremd in der teuren Hansestadt.

Sie findet Anschluss in einer evangelikalen Kirchengemeinde, lehnt plötzlich Sex vor der Ehe ab und schlägt in der Bibel nach, ob es in Ordnung ist, Mascara zu benutzen. Dabei war sie atheistisch erzogen worden. „Die DDR war weg, sie war kein perfektes Land, aber das einzige, das ich kannte.“ Sie hatte sich über den Mauerfall gefreut, doch jetzt suchte sie feste Strukturen und etwas, das sie der Mehrheitsgesellschaft entgegensetzen konnte. „Es war nicht besonders cool, Bibeln in Russland zu verteilen und lange Röcke zu tragen, aber es war anders und schockierend“, schreibt sie. Als eine Freundin sie vor fundamentalistischen christlichen Gemeinden warnt, ist sie stolz. Ihr Leben hat sich dann anders entwickelt als das von Uwe Mundlos, sie kommt an in der bundesdeutschen Realität, er taucht ab.

Erinnert an ihre Jugend, an eine Zeit, als viele Eltern ihre Jobs verloren, Biografien abgewertet wurden und die Schulen versagten, wird sie, als der NSU auffliegt. Sie sitzt kurz darauf bei einem Essen mit Hauptstadtjournalisten und dem Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, der Terror bestimmt das Gespräch. Aber die Richtung ist klar: „War doch logisch, die kommen alle drei aus dem Osten, da gibt es doch eh nur Nazis.“ Aufgeklärte Medienleute vertreiben sich den Abend mit Anekdoten aus der ostdeutschen, „braunen“ Provinz. Ihr hört an diesem Abend keiner zu. So kam es zu dem Essay, aus dem später ihr Buch „Eisenkinder. Die stille Wut der Wendegeneration“ wird. Türkische oder arabische Freunde hatte keiner ihrer westdeutschen Kollegen, auf Partys blieb man unter sich, stellt sie in ihrem Essay fest. „Trotzdem glaubten viele aus dem Westen: Das Problem mit den Neonazis hatten wir gelöst, dann kamt ihr mit euren Glatzen.“

Das ist natürlich Quatsch, genau so wie der Fehlschluss, nur bildungsferne Menschen seien rechts, sagt Speit. Er kommt am Mittwochabend direkt vom NSU-Prozess in München – wo ihm wieder einmal die Gleichgültigkeit, mit der viele das Verfahren begleiten, aufgestoßen ist. „Läuft das etwa immer noch?“, würden ihn selbst einige seiner Freunde fragen. „Wir sind empört darüber, wie wenig sich empört wird“, habe es eine Nebenklägerin auf den Punkt gebracht. „Es gibt eine Erosion von Empathie im Bürgertum“, sagt Speit. Das spürten nicht nur Ausländer, Flüchtlinge, sondern auch Obdachlose, die man am schönen Wochenende lieber nicht in der City sehen will. In den 1990er-Jahren habe es, nach den rechten Anschlägen in Hoyerswerda etwa, spontane Lichterketten gegeben. Als die Mordserie des NSU aufflog, passierte nichts. „Erst recht nichts im Vergleich zu der Empörung, die jetzt über einen gewissen Bischof herrscht.“

Rennefanz sieht das anders: „Politisch haben sich die Dinge eher andersherum entwickelt, in den 90er-Jahren ist Helmut Kohl nicht mal zur Trauerfeier für die Opfer von Hoyerswerda gereist, heute verspricht der Staat lückenlose Aufklärung.“ Zwischen der offiziellen politischen Haltung und der der Zivilgesellschaft gibt es für Speit einen großen Unterschied. Trotzdem hätten die Behörden nachweislich Fehler gemacht, nicht umsonst konnte der NSU so lange unentdeckt morden. „Es wurden nicht nur die Täter als desorientierte Jugendliche unterschätzt, sondern auch die gut funktionierenden rechten Netzwerke.“. Dazu komme, dass viele leitende Stellen in den ostdeutschen Behörden nach der Wende mit Leuten aus dem Westen besetzt wurden, die vor allem Angst vor der alten PDS gehabt hätten.

Der Nährboden für rechte Ideologie lässt sich also weder nur in den alten noch nur in den neuen Bundesländern verorten. „Die meisten Opfer rechter Gewalt kommen aus Westdeutschland“, sagt Speit, gleichzeitig werde oft vergessen, dass der staatlich verordnete Antifaschismus der DDR eine Nicht-Aufarbeitung vieler NS-Verbrechen begünstigte. Aber es gab ihn auch in der DDR: den kulturellen Resonanzraum für Rechtsextremismus. Die Szene der rund 1000 von der Stasi unter „Rowdys“geführten Neonazis konzentrierte sich auf Potsdam und Ostberlin – dort stürmten Neonazis am 17. Oktober 1987 ein Konzert der Band Element of Crime in der Zionskirche. Die Polizei griff nicht ein. „Die hätten ihre Karriere gefährdet“, sagt einer der Zuhörer, von Staats wegen durfte es schließlich keine Neonazis geben. Und das System funktionierte: „Bis nach Eisenhüttenstadt drang der Überfall damals nicht durch“, sagt Rennefanz. Für sie und Speit ist klar: „Die Wiedervereinigung der ost- und westdeutschen Neonazis hat wunderbar funktioniert.“ Die aber, so Speit, sind nur die Spitze des Eisbergs. Und eben nicht mehr an ihren Glatzen und Bomberjacken zu erkennen. Wichtiger sei es, genau hinzuhören – wenn die Flüchtlinge doch bitteschön nicht in die Nachbarschaft ziehen sollen – und auch dann, wenn sich niemand über diese Haltung empört.

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