Kultur: Der Ruhm strahlte auf sie ab Judka Strittmatter liest
in der Villa Schöningen
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In ihrem Roman heißt er Onkel Kurt und ist ein gefragter Schauspieler. Dass der renommierte, inzwischen politisch in Misskredit geratene DDR-Schriftsteller Erwin Strittmatter dieser Figur maßgeblich mit Gestalt verlieh, liegt wohl auf der Hand. Schließlich ist Judka Strittmatter die Enkelin des großen Erwin und ihr Buch „Die Schwestern“ erscheint nicht zufällig im Strittmatter-Jubiläumsjahr.
Dieser erste Roman der Journalistin erzählt von einer Reise zurück in ein vergessenes ostdeutsches Milieu und die eigene Biografie ist der Stoff, aus dem die Erzählkunst der Autorin erwächst. Natürlich stellt sie ihrem Buch, aus dem sie am kommenden Sonntag in der Villa Schöningen liest, den Vermerk voran, dass Figuren und Handlung erfunden seien, „aber (wie so oft) vom Leben inspiriert“ worden sind. Und dieses Leben verlief für die beiden Schwestern Martha und Johanne, über die diese düstere Familiensaga erzählt wird, nicht gerade wie im farbenfroh illustrierten Bilderbuch. Nach außen hin waren die Andruschats eine normale Akademikerfamilie gewesen, der Vater Ingenieur, die Mutter Lehrerin. „Gepflegte Leute für die Nachbarn, mit Wartburg und Westklamotten und einem Stück Ruhm, das nicht sie selbst, sondern ein Großonkel, der Bruder des Vaters-Vaters, eingefahren hatte, das aber auch auf sie abstrahlte, weil sie denselben Namen trugen.“ Dieser Onkel hatte die Familie sein Leben lang vornehmlich ignoriert. Manchmal sickerte durch, sie alle seien ihm zu fad mit ihren Ingenieursberufen und ihren einfältigen Träumen vom Eigenheim oder Urlaub am Plattensee gewesen. Laut gesagt hätte er es nie. Dennoch stellte sich den Mädchen die Frage, warum ihr Onkel Kurt, der von seinen Fans vergötterte Mime mit Baskenmütze und Zigarre im Mund, privat so ein Despot war. Warum hielt ihn die Verehrung nicht davon ab, ein schlechter Vater zu sein? Wo hatte diese Härte ihren Ursprung? Welche Brüche prägten ihn? Die Schwestern, die den Onkel – augenscheinlich widerwillig – in den Ferien einmal besuchen durften, verfielen in eine Art Duldungsstarre dieser Berühmtheit gegenüber, die sich nicht zu ihnen herabbeugte, die Mädchen aber für ein Foto flüchtig umarmte. Der Ruhm des Onkels strahlte auf sie ab. Doch auch er hat die Spirale des Hasses und der Sprachlosigkeit in der Familie nur vorangetrieben.
Die Schwestern hatten indes vor allem mit ihrem eigenen Vater zu kämpfen, der sie zu extremer Schüchternheit abgerichtet hatte. Auch von der Muter war Beistand nie zu erwarten gewesen. Sie hatte es vorgezogen, ihren Mann zu körperlichen Bestrafungen noch anzustacheln. Mit Zorn und Wut, Melancholie und Verlorenheit schaut Judka Strittmatter auf eine schmerzhafte Kindheit zurück. Ihr im Aufbau-Verlag erschienenes Debüt ist ein sprachgewaltiger Roman über die Schicksalsreise zweier Schwestern, die Fesseln einer Familie und die befreiende Wirkung des Erinnerns. Am Ziel ihrer Reise – dem früheren Devisenhotel „Sandbank“ – werden die Schwestern mit einem Verrat konfrontiert, der über Nacht zum Zerwürfnis führt.
Herkunft und Familie, und warum man beides nicht loswird, auch wenn man es will, ist ein Zusammenhang, der die 1966 geborenene Autorin sehr interessiert. Und natürlich setzte sie sich auch mit der von Erwin Strittmatter (1912 bis 1994) verschwiegenen Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Ordnungspolizei auseinander. Heidi Jäger
Die Autorin liest Sonntag, dem 11. März um 11 Uhr in der Villa Schöningen, Berliner Straße 86. Eintritt 12/erm. 10 Euro. Reservierung unter Tel. (0331)2001741
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