Kultur: Der Schuh der Barbarina
Mit ihrem Tanz versetzte die kleine Italienerin Friedrich den Großen in Entzücken
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Auf 6000 Quadratmetern im Neuen Palais, verteilt auf 72, zum Teil erstmals zugängliche Räume, präsentiert sich derzeit die große Jubiläumsausstellung „Friederisiko“ zum 300. Geburtstag von Friedrich II. Knapp 1500 Exponate sind noch bis zum 28. Oktober zu sehen, 1000 davon gehören zur Ausstattung des Neuen Palais. In den kommenden Wochen stellen die PNN an dieser Stelle einzelne Ausstellungsstücke vor, die viel auch über Friedrich II. erzählen und erklären können.
Es ist nur ein Schuh, elegant zwar, aus Seidendamast und mit einem recht hohen Absatz. Derzeit kann man ihn in einem Glaskasten im Neuen Palais besichtigen. Einst gehörte er der höchstbezahlten Künstlerin im friderizianischen Preußen, der Tänzerin Barbara Campanini. Mit ihrem Tanz versetzte die kleine Italienerin Friedrich den Großen in Entzücken, mit ihren Affären brachte sie ihn mehr als einmal zur Weißglut. Schon das berühmte Porträt der Barbarina zeugt mit seinem großen, sonst nur Adeligen und Ministern gebührenden Format von Ruhm und Ansehen. In Blumenrock und Blumenschmuck hält die junge Tänzerin in der erhobenen Hand ein Tambourin, ein geflecktes Fell um die Hüften weist sie als Bacchantin aus.
Das von Hofmaler Antoine Pesne gemalte Rollenporträt hing für Besucher gut sichtbar im Kabinett des Königs im Berliner Stadtschloss. Obwohl die Barbarina von 1744 bis 1748 an der neu eröffneten Königlichen Hofoper tanzte, wurde sie zum Stadtgespräch bis weit über ihre Zeit hinaus. Kein Geringerer als Carl Ludwig von Cocceji, der Sohn des preußischen Großkanzlers, hatte ihr auf offener Bühne einen Heiratsantrag gemacht. Dabei war der Tänzerin eine Heirat verboten worden. Doch die Italienerin aus Parma ließ sich nicht einschüchtern, obwohl der König bereits drastische Mittel angewendet hatte, um sie nach Berlin zu bringen. Denn die in Venedig, Paris und London gefeierte Tänzerin hatte es sich anders überlegt. Trotz ihrer Zusage für die Saison 1744/45 floh sie mit ihrem Verlobten, einem englischen Lord, von Paris nach Venedig. Dort wurde sie von Friedrichs Gefolgsleuten in der Republik, mit der das Königreich Preußen natürlich keine diplomatischen Beziehungen unterhielt, aufgespürt und unter Bewachung des Grafen Dohna nach Berlin gebracht. In einem zweiten Wagen folgte der Lord, doch selbst sein Brief an den König mit der Bitte um Entlassung der Barbarina aus dem Dienst blieb ohne Erfolg. Drei rührende Liebesbriefe des Lords an seine geliebte „Babby“ haben ihre Adressatin wohl nie erreicht, da sie vom Berliner Polizeipräsidenten konfisziert wurden. Fünf Tage nach ihrer Ankunft musste Barbarina, die damals je nach Angabe erst 21 oder 24 Jahre zählte, vor dem König auftreten. Es wurde ein Triumph, an dem der König nicht unbeteiligt war. Bald erschien in der Spener’schen Zeitung ein lateinischer Lobeshymnus: „In Donnam Barbarinam! In Dir wetteifern Kunst und Natur auf seltene Weise, beide wären mit ihren Vorzügen gleich zufrieden.“ Schnell lag das Berliner Publikum der Barbarina zu Füßen, bewunderte ihre Sprünge und Drehungen, nannte sie in Anspielung an den Gott der Liebe die „geflügelte Göttin“, tuschelte über ihre kurzen Röcke, die unerhörterweise den Knöchel freiließen, und kommentierte ihre Affären: Sogar der König hatte sie schon zum Souper ins Schloss Charlottenburg geladen. Da das Ballett als abendfüllende Veranstaltung noch nicht existierte, trat Barbarina in den Zwischenspielen der Oper und in Singspielen auf. Ihren größten Erfolg erzielte sie mit der Darstellung der Statue im Mythos von Pygmalion. Hochentzückt schrieb der Kriegsrat Johann Friedrich Borchmann, Chronist jener Zeit, über die Aufführung im Prolog der Oper „Adriano in Siria“: „...so unverbesserlich die ganze Oper war, so ausnehmend schön war auch, unter den Balletts, die Vorstellung des Pygmalions mit seiner Elise. Die so reizend gebildete Barbarina kam, durch den Fußboden geschoben, ganz allmählich, wie die Sonne, wenn sie am Morgen hinter den Gebirgen hervorkommt. Sie stand, als vorgefertigte Statue des Pygmalion, so leblos da, als wenn alles Blut in ihren Adern erstarret wäre. Lany aber, ihr Pygmalion, tanzte so einnehmend um sie und wusste den Göttern so lange zu schmeicheln, bis die empfindsame Venus sich bewegen ließ, und dieser Puppe, dem Abgott seiner Seele, das Leben gab.“ Diese Ballett-Pantomime kann als frühestes Beispiel eines ballet d’action (Handlungsballett) in der Berliner Ballettgeschichte verbucht werden. Einzig Voltaire mangelte es an Begeisterung: „Die Barberina tanzte zu dieser Zeit in seinem Theater. ... Der König war ein wenig in sie verliebt, weil sie Beine hatte wie ein Mann. Unverständlich war nur, dass er ihr 52 000 Livres Gage zahlte. Sein italienischer Dichter hatte nur 12000 Livres Gage; aber man muss bedenken, dass er hässlich war und dass er nicht tanzte. Kurz, die Barberina allein bekam mehr als drei Staatsminister zusammen.“ Allein, weder Geld noch Ruhm konnten die Barbarina binden. Trotz königlichen Verbots und Widerstands der Eltern Cocceji, die sich sogar mit der Bitte um Trennung der Liebenden an Friedrich II. wandten, erlag sie der feurigen Werbung ihres preußischen Romeos. Der nicht standesgemäße Liebhaber wurde erst einmal auf höchsten Befehl für eineinhalb Jahre in Landsberg arretiert. Die „verführerische Creatur“ (Friedrich II.) erhielt die Kündigung, zudem mehrere Wochen Hausarrest. Anschließend ging sie nach England. Doch nach ihrer Rückkehr fand in Berlin eine heimliche Heirat statt. Vor vollendete Tatsachen gestellt, befand Friedrich II., dass ihn diese „unbesonnene Heirat eigentlich nicht afficiret, solange der Geheimrat nichts in seinem Dienste versieht.“ Dafür verlangte er den für die Heirat verantwortlichen katholischen Geistlichen ausfindig zu machen. Dieser sollte „auf Lebenszeit nach der Festung Spandau gebracht und bei Wasser und Brot gehalten werden“. Trotz scharfer Verhöre fand sich jedoch kein Pastor. Schließlich versetzte der König Carl Ludwig von Cocceji als Regierungspräsidenten ins schlesische Glogau. Die Ehe blieb kinderlos, nach dreißig Jahren wurde sie auf Drängen des Ehemanns, der schon lange eine Geliebte hatte, geschieden. Barbarina gründete ein Stift für verarmte adelige Fräulein, das unter dem Motto stand „Der Tugend eine Zuflucht“. Erst Friedrich Wilhelm II. verlieh ihr den Titel „Gräfin Campanini“. Barbarina starb 1799 auf ihrem Gut in Barschau, das mitsamt einem Vermögen von 100 000 Talern an den preußischen Staat fiel. Was hätte sie gedacht, wenn sie mehr als zweihundertsechzig Jahre nach ihren Tanzerfolgen ihren Schuh wie eine Reliquie in Potsdam ausgestellt gesehen hätte? Die Geschichte der mutigen Tänzerin, die sich gegen König und Karriere für die Liebe entschieden hat, ist es allemal wert, erinnert zu werden.
Bei den am heutigen Samstag beginnenden Musikfestspielen sind um 22 Uhr open air im Ehrenhof Schloss Sanssouci, „Preußische Stars“ mit einer Aufführung von Pygmalion nach dem Original aus der Oper „Adriano in Siria“ zu erleben
Babette Kaiserkern
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