Kunst und ihre Herkunft: „Der Staat hat lange zu wenig getan“
Der Potsdamer Kunsthistoriker Andreas Hüneke über den Fall Gurlitt und die Forschung zur „Entarteten Kunst“
Stand:
Herr Hüneke, was ist der Unterschied zwischen Provenienzforschung und Ihrer Forschung zur „Entarteten Kunst“?
Provenienz heißt ja: wo es herkommt. Wir schauen hingegen, wo ein Werk war und versuchen herauszubekommen, wo es heute ist. „Entartete Kunst“ bezeichnet das, was 1937 in deutschen Museen beschlagnahmt wurde. Dazu ist 1938 auch das Gesetz erlassen worden. Gerne wird behauptet, dieses Gesetz wäre auch für die Beschlagnahme von Privatbesitz ursächlich. Das ist falsch. Die Werke sind den Museen damals entschädigungslos entzogen und nach Möglichkeit über den Kunsthandel verkauft worden. Dieser Eigentumswechsel ist bis heute rechtmäßig.
Wie sind Sie zur Forschung über „Entartete Kunst“ gekommen?
Ich habe mich schon als Jüngling für die Moderne interessiert, die damals in der DDR scheel angesehen wurde. Zu den wenigen Museen, in denen Werke der Moderne zu sehen waren, gehörte neben der Ostberliner Nationalgalerie die Moritzburg in Halle. Als die zu meiner ersten Arbeitsstelle wurde, begann ich, zum Altbestand zu forschen. Im Zentralen Staatsarchiv der DDR in Potsdam gab es die Unterlagen des Reichspropagandaministeriums zur Aktion „Entartete Kunst“.
Was wird mit den zweifelsfrei aus der Aktion „Entartete Kunst“ stammenden Arbeiten der Sammlung Gurlitt geschehen?
Was in der Berichterstattung weitgehend aus dem Blick gerät, ist die Tatsache, dass es sich um eine Privatsammlung handelt. Ich hätte den Wunsch, dass Gurlitts Bestand an Werken der „Entarteten Kunst“ genauso zusammenbleibt wie der Nachlass des Kunsthändlers Bernhard Böhmer, der sich heute in Rostock im Museum befindet. Die Sammlung gehört Cornelius Gurlitt, aber meine Zielvorstellung ist, dass sie zumindest öffentlich zugänglich gemacht wird. Ich halte es nicht für erstrebenswert, die Stücke den Museen zurückzugeben. Es sind wohl keine Werke, die einen wirklichen Bedeutungszuwachs der jeweiligen Sammlung ausmachten.
Was macht die Forschung zur „Entarteten Kunst“, die immer auch die Identifizierung von Einzelwerken umfasst, so schwierig?
Ein Problem ist, dass die Inventarisierung in den Museen damals nicht denselben Standards entsprach wie heute und noch nicht so viel fotografiert wurde. Von einigen Museen sind die Unterlagen im Krieg zerstört worden. Im Beschlagnahmeverzeichnis von 1937 sind nur die Nachnamen der Künstler angegeben, die Titel oft nur nach Augenschein.
Haben Sie einen Überblick, wie viele Werke der „Entarteten Kunst“ insgesamt beschlagnahmt worden sind?
Ich nenne Zahlen immer nur ungern, sie sind wenig verlässlich. Bei der Beschlagnahmeaktion 1937 gingen die Nummern der Liste bis 16 500. Die Gesamtzahl hat sich im Lauf der Jahre durch die Auflösung von Konvoluten und durch neue Funde stark erhöht. Es sind längst über 20 000.
Und bei Cornelius Gurlitt?
Bei ihm wird es immer weniger, auch der Preis wird deutlich niedriger. Es handelt sich nicht um die Milliarde Euro – eine absurde Größenordnung. Das hat jemand hochgerechnet anhand der anfangs erwähnten 1500 Werke und der ersten Namen, die genannt wurden: Matisse, Franz Marc und dann 1500 Gemälde dieser Kategorie. Aber es sind ja viele Papierarbeiten darunter und von den berühmten Künstlern nur einzelne Arbeiten.
Was hat die weltweite Reaktion auf den Fall Gurlitt bewirkt?
Bei allem, was ich gegen Hysterie einzuwenden habe, so etwas bringt die Sache voran. Der Druck erhöht sich, dass der Staat mehr Geld für Forschung bereitstellen muss. Bislang wurden die Forschungen von staatlicher Seite nicht gerade prononciert vorangetrieben. Die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der FU Berlin wird zu 100 Prozent durch die private Ferdinand-Möller-Stiftung getragen, der Bund ist jetzt bei der Arbeitsstelle für Provenienzforschung mit im Boot. Aber es könnte noch deutlich mehr passieren.
Ihre Erwartungen an die neue Regierung?
Meine Hoffnung geht dahin, dass sich die Regierung nicht in Panik versetzen lässt. Es ist durchgesickert, dass es Stimmen gibt, die die Frage der „Entarteten Kunst“ neu aufrollen wollen. Ich würde es für höchst fatal halten, das Gesetz von 1938 aufzuheben, ohne dem etwas entgegenzusetzen. Damit würde das gesamte Museums- und Sammlungsgefüge weltweit ins Wanken gebracht. Es gilt als politisch nicht korrekt, wenn man einen Schlussstrich fordert. Aber an einigen Stellen muss man ihn ziehen, dazu gehört in jedem Fall die Diskussion um die Rückführung von Werken aus der Aktion „Entartete Kunst“. Es muss eine Sicherheit für die jetzigen Besitzer geben.
– Das Gespräch führte Michael Zajonz
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