
© Andreas Klaer
Kultur: Der Traum eines alten Fischers
Ein Bild von Bernhard Heisig im Stadtschloss – Je länger man sich mit Peter Rohn darüber unterhält, umso zwingender wird das
Stand:
Wie ein alter Fischer in seinem Boot, so sieht sich Peter Rohn. Etwas abseits auf einem Tümpel versucht er auf traditionelle Art ab und an noch einen Fisch zu fangen. Und dann lacht Peter Rohn. Kurz und trocken und fast mehr für sich. Er lacht, weil er nicht will, dass dieser Vergleich mit dem alten Fischer zu rührselig oder gar desillusioniert klingt. Aber Peter Rohn ist Realist und, um bei dem Bild mit dem Fischer zu bleiben, er weiß, dass er wie ein Auslaufmodell, wie er es nennt, wirken muss. Hockt da in seinem Kahn mit einer alten Bambusangel in den Händen und fischt in trübem Gewässer, während um ihn herum der Fortschritt tobt. Aber wie gesagt, ab und an, da beißt vielleicht doch noch ein Fisch.
Bernhard Heisig zum Beispiel, das wäre so ein Fisch nach Rohns Geschmack.
Es ist mittlerweile ein paar Wochen her, da kam Peter Rohn zum ersten Mal in die Redaktion. Wenige Tage zuvor, am 10. Juni, war der Maler Bernhard Heisig im Alter von 86 Jahren im brandenburgischen Strodehne verstorben. Und Peter Rohn, der 1953 Schüler in Heisigs erster Seminargruppe an der Leipziger Universität war, wollte einen Nachruf auf seinen Lehrer schreiben.
Rohn, 73 Jahre alt, ließ sich nicht abwimmeln. Er blieb hartnäckig in einer charmanten Art, mit der er signalisierte, dass er zwar wusste, dass er auf verlorenem Posten kämpft, sich aber trotzdem nicht entmutigen lässt. Im Gegenteil. Peter Rohn ging es nicht allein um einen Nachruf. Er ist der Meinung, dass Bilder von Heisig nach Potsdam gehören. Auf die Frage, was denn nun ausgerechnet Bernhard Heisig, unbestritten einer der wichtigsten Vertreter der DDR-Kunst und neben Werner Tübke, Willi Sitte und Wolfgang Mattheuer Gründer der „Leipziger Schule“, mit Potsdam zu tun habe, antwortete Rohn: „Sehr viel, weil leider gar nichts!“
Je mehr Peter Rohn dann von Heisig sprach, dabei auf das immer wieder gern belebte Potsdam-Thema einer fehlenden Kunsthalle als städtische Galerie für Gegenwartskunst und dann auf den Wiederaufbau des Stadtschlosses kam und sagte, dass zwar ständig über das Äußere dieses Schlosses diskutiert werde, er aber sowohl von alter wie neuer, dem Bau integrierter Bildkunst noch nie etwas Überzeugendes gehört habe, war doch das Interesse geweckt. Auf die Frage, ob er sich denn eines dieser vor Furor schier zerbersten wollenden Bilder von Heisig im zukünftigen Landesstadtschlossparlament vorstellen könne, antwortete Rohn selbstbewusst mit „Ja“.
So abwegig das beim ersten Hören auch klingen mag, je länger man darüber nachdenkt, umso reizvoller und fast schon zwingend selbstverständlich erscheint einem dieser Vorschlag. Und schnell ist da die Vereinbarung, sich später in Peter Rohns Atelier zu treffen, um sich ausgiebig über dieses Thema zu unterhalten.
Was in Peter Rohns Atelier, das gleichzeitig seine Wohnung ist, sofort auffällt, ist die Ordnung, die hier herrscht. Die Tische leer, die Pinsel und Stifte akkurat in Tassen gestellt. Fast wirkt es so, als hätte hier jemand extra aufgeräumt. Doch man muss Peter Rohn nicht lange kennen, um zu wissen, dass er für einen solchen Budenzauber nicht zu haben ist. Einen Großteil der gut 300 Bilder, die sein Werksverzeichnis umfassen, lagert Rohn in seiner Wohnung, ordentlich in Folie verpackt. In seinem Arbeitszimmer, ein paar Schritte durch den Flur nur getrennt vom Atelier, ist alles ordentlich in Regale sortiert. Die Regalfächer und zahlreichen Ordner und Notizbücher sind beschriftet. Auf seinem Arbeitstisch – ein alter Küchentisch mit abgewetzter Oberfläche – liegen ein paar Stifte und Zeitungsartikel, in denen Rohn einzelne Texte farbig markiert hat. Hier, in dieser Altbauwohnung in Potsdam West, gleich unter dem Dach, lebt und arbeitet jemand, der Übersichtlichkeit schätzt und sich nicht in läppische Details verliert. Das spiegeln auch seine Bilder wider, die von Natürlichkeit, Übersichtlichkeit und einer gewissen Strenge geprägt sind.
Auf den ersten Blick könnte man die Aquarelle, die einen Blick aus dem Fenster auf die verschneite Straße, eine Operninszenierung in der Friedenskirche oder einen klobigen Russenlaster vor einem Fliederbusch zeigen, fast schon als naiv bezeichnen. Und Peter Rohn, der sagt, dass er für Menschen und nicht für Fachleute zeichnet, würde einem das vielleicht nicht einmal übel nehmen. Er würde einen nur bitten, genauer hinzuschauen. Denn wie so oft braucht es auch hier Zeit, bis sich die Details, die Nuancen erschließen.
1994 nahm Peter Rohn ein paar seiner Bilder und fuhr die 85 Kilometer nach Strodehne. Als er Bernhard Heisig seine Arbeiten zeigte, sagte dieser nur: „Ja, das sind Bilder!“
Spricht man mit Peter Rohn über Bernhard Heisig, wird schnell klar, dass die Beziehung dieser beiden Künstler, wenn man denn von einer Beziehung sprechen möchte, auf Missverständnissen beruht. Als Rohn Schüler von Heisig war, blieb er es nur eine kurze Zeit. Den 19-Jährigen zog es von Leipzig zurück in seine Geburtstadt Dresden, weil er glaubte, sich dort besser zum Maler entwickeln zu können. Diesen Weggang, so Rohn, nahm der zehn Jahre ältere Heisig persönlich. Doch als Heisig 1953 an der Universität Leipzig seine erste Seminargruppe mit 15 Studenten übernahm, lag der Schwerpunkt seines Unterrichts auf der Grafik. Vom Maler Heisig war damals noch nicht die Rede.
„Ein entscheidendes Missverständnis“, sagt Peter Rohn. Und in den drei Worten schwingt die ganze Wucht mit, was hätte sein können, wenn er schon damals gewusst hätte, das Bernhard Heisig auch Maler ist, und was für einer.
Peter Rohn ist nach seinem Studium in Dresden nach Potsdam gekommen. Damals für einen Künstler keine gute Adresse, da hier, in der Frontstadt, ein künstlerisches Milieu besonders unter Kontrolle stand. Doch Rohn ging seinen Weg, malte seine Bilder und hinterließ in dieser Stadt seine Spuren. Er schuf das Wandgemälde „Adam und Eva“ am Kiewitt, in dem er seine Vorstellung von Kunst durch Beharrlichkeit in den damaligen Gesprächen mit den Verantwortlichen durchsetzte. Er schuf die Wandskulptur „Flugschiff“ für das „Haus des Reisens“ am Platz der Einheit, das mit dem Abriss des Hauses im Depot verschwand. Regelmäßig stellte er aus. Und regelmäßig beobachtete er die Entwicklung seines ehemaligen Lehrers. Doch erst 1994 fasste er den Mut und reiste nach Strodehne, um das „entscheidende Missverständnis“ aus der Welt zu schaffen.
Danach ist Peter Rohn nicht regelmäßig zu Heisig gefahren. Dieser Satz: „Ja, das sind Bilder!“ war und ist für ihn das höchste Lob überhaupt. Und außerdem wollte er nicht, dass der Eindruck entsteht, er Suche die Nähe zu dem großen Bernhard Heisig, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Er war Mitorganisator der Ausstellung „Märkische Wandlungen“, die im Herbst 1999 „Bilder aus Brandenburg und Berlin“ im Alten Rathaus zeigte, darunter auch Werke von Bernhard Heisig. Und von Peter Rohn.
Je länger das Gespräch dauert, umso unwichtiger wird die Frage, warum ein Bild von Bernhard Heisig ausgerechnet im Stadtschlosswiederaufbau hängen soll. Die Bedeutung dieses großen Künstlers bedarf keiner weiteren Erklärung. Aber in der stillen und nachdenklichen, immer auch humorvollen Art, in der Rohn von seinem Malerleben erzählt und dabei immer wieder den Weg zu Heisig findet, steckt eine argumentative Kraft, die fast beiläufig zeigt, dass da etwas zu verschwinden droht, was immer unter dem Begriff DDR-Kunst zusammengefasst wird. Und allein die Erwähnung von „DDR“ genügt, um 40 Jahre künstlerischer Arbeit etwas Negatives anzuheften und den Wunsch zu vermitteln, dass all dieses Zeug in den Giftschrank verschwinden sollte. Bis auf ein paar Ausnahmen. Ausnahmen wie Bernhard Heisig.
„Ist es nicht bezeichnend, dass ein Großteil seiner Bilder in die alten Bundesländer verkauft wurde und hier in Potsdam nichts an diesen großen Mann erinnert, der seine letzten Lebensjahre im Brandenburgischen verbrachte?“, fragt Rohn. Da schwingt kein Vorwurf mit, nur großes Bedauern. Aber dann lächelt Peter Rohn wie bei seinem ersten Besuch in der Redaktion und signalisiert, dass er zwar weiß, dass er auf verlorenem Posten kämpft, sich aber trotzdem nicht entmutigen lässt. Und in dem Moment ist man froh, dass da ein alter Fischer seine Bambusangel unverdrossen in trübes Gewässer hängt. Auch wenn kein Fisch mehr anbeißt.
Dirk Becker
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