Kultur: Der Traum vom Leichtschreiben
John von Düffel hat seinen neuen Roman „Goethe ruft an“ in der Villa Quandt vorgestellt
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Bernhardsätze! Wenn dieser Goethe spricht, dann Bernhardsätze. Anfangs noch zahnlose, butterweich schmeichelnde und schön dahinfließende Bernhardsätze. Aber ganz in diesem für Thomas Bernhard so typischen Duktus. Und gerade in dem Moment, als man sich fragen will, was es mit diesen Weichspülsätzen auf sich hat, wird Goethe bissiger. Herrlich bissig und ganz Bernhard aber ist Goethe dann, wenn seine Sekretärin ihn und seine Theorie vom chinesischen Kopier-Genie-Gen zitiert.
Diese Passage mit der nicht zu bremsenden Kopierwut der Chinesen las John von Düffel auch am Sonntag in der Villa Quandt bei der Vorstellung seines neuen Romans „Goethe ruft an“. Und die zahlreichen Zuhörer hatten ihre Freude an dieser sich immer stärker aufbauschenden und immer hanebüchener argumentierenden Übertreibungskunst.
Selbstverständlich ist es nicht Johann Wolfgang von Goethe, der in diesem Roman anruft. Aber wie Goethe ist er ein erfolgreicher Schriftsteller, der zu Lebzeiten schon als Klassiker gilt. Und weil dieser Schriftsteller „so sehr Goethe ist, wie man heute nur sein kann“, hat ihn der Icherzähler des Romans nach dem großen deutschen Dichter benannt. Nun ruft Goethe an, weil er eine Bitte hat. Ob er, der Icherzähler, ein erfolgloser Schriftsteller, ihn, Goethe, bei einem Sommerkurs für „Leichtschreiben“ in einem Hotel im Spreewald vertreten könne. Wenig Arbeit, dafür viel Freizeit, im Grunde nur ein Ferienjob. Doch wie zu erwarten, von Leichtigkeit keine Spur.
Als eine Hommage auf das Brandenburgische, seine neue Heimat, bezeichnete von Düffel „Goethe ruft an“ am Sonntag in der Villa Quandt. Seit mehreren Jahren lebt John von Düffel, der als Dramaturg am Deutschen Theater arbeitet und an der Universität der Künste in Berlin „Szenisches Schreiben“ unterricht, in Potsdam. Eine Stadt, in der er mit Frau und Tochter nach Jahren des Umherziehens heimisch geworden sei. Und dieses neue Gefühl von Heimat sollte auch im Urlaub erhalten bleiben. Also wurde die Umgebung bereist und so der Spreewald entdeckt. Und auch wenn es wie ein schön erfundenes Klischee klingen mag, aber ausgerechnet auf einer Kahnfahrt durch den Spreewald vor gut zweieinhalb Jahren sei ihm die Idee zu dem Roman gekommen. Und als er dann auch noch das vierwöchige Spreewald-Literatur-Stipendium im Sommer 2009 im Luxushotel „Zur Bleiche“ zugesprochen bekam, hatte John von Düffel den passenden Ort für seinen Roman gefunden.
In diesem Hotel, das, „genau genommen kein Hotel, sondern eine eigene Sphäre, eine in sich ruhende Welt“ sei, trifft der Icherzähler auf eine illustre Schar von Kursteilnehmern, denen er die Kunst des Leichtschreibens vermitteln soll. John von Düffel hat hier seine Erfahrungen als Dozent von zahlreichen Kursen für kreatives Schreiben verarbeitet. Und auch wenn die Figuren in „Goethe ruft an“ wie klassische Stereotypen wirken, so viel verriet John von Düffel: die vielschreibende Hedwig ist einer seiner früheren Kursteilnehmerin nachempfunden.
Herrlich leichte Dialoge und die besagten Bernhardsätze, Verwirrungen um ein Originalmanuskript und die Erfolgsformel für wahres Schreiben, traumhafte Naturbeschreibungen und das ständige Hin und Her zwischen Tief- und Leichtschreiben, Vertikal- und Flächenliteratur, sprich ernsthafter und Unterhaltungsliteratur: John von Düffel hat mit „Goethe ruft an“ ein hoch amüsantes Buch über den Literaturbetrieb geschrieben, die unterschiedlichsten Sichtweisen auf die Qualität von Literatur und den ewigen Wunsch der Autoren, leicht und erfolgreich zu schreiben, trotzdem aber Werke zu schaffen, die einen entsprechenden Tiefgang haben. Und wenn zum Ende hin der Icherzähler erkennt, dass er dafür doch nur auf seine eigene Stimme vertrauen müsse, heißt es Obacht: Denn ganz so leicht macht es uns John von Düffel nun auch wieder nicht. Dirk Becker
John von Düffel, Goethe ruft an, Dumont Verlag 2011, 19,99 Euro
Dirk Becker
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