zum Hauptinhalt

Kultur: Der Wahnsinn der Geschichte

Im Gymnasium Hermannswerder machte die „Pension Schöller“ Station

Stand:

Als die Vorhänge aufgehen, gibt es die ersten Lacher. „Es lebe der 40. Jahrestag der DDR“ steht da in wackeligen Buchstaben auf einem Banner. Daneben eine Fahne mit Ährenkranz und das Konterfei des Genossen Honecker, der mit müdem Blick die Szenerie überwacht. Als in diese Retro-Idylle dann eine gestrenge junge Dame im Blauhemd (Martina Patzwald) stürmt und die Anwesenden mit einem herrischen „Warum haben Sie draußen nicht geflaggt?“ anfährt, gibt es kein Halten mehr im Publikum. Ja, so war das damals, scheinen die Lacher zu sagen. Kaum zu glauben, aber irgendwie wahr.

Dabei hat das Stück, das in der Aula des Gymnasiums Hermannswerder vom Kurs Darstellendes Spiel auf die Bretter gezaubert wurde, mit Honecker, Hammer und Zirkel eigentlich nichts zu tun. „Pension Schöller“ wurde bereits 1890 uraufgeführt. Lehrer Hans-Albrecht Weber hatte seinen Schülern die Posse von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby vorgeschlagen, weil sie „mal eine Komödie“ machen wollten. Die Idee, das Ganze um 100 Jahre nach vorn ins Berlin der Wendezeit zu verschieben, stammt von ihnen. Und das, obwohl die, die auf der Bühne so zielsicher die Farcenhaftigkeit der DDR verulken, gerade eben erst geboren waren, als die Mauer schon wieder fiel. Das Land, in dem ihr Stück beginnt, kennen sie nur aus Erzählungen. Aber die Ost-West-Konflikte sind für sie noch immer ein Thema, erzählt Hans-Albrecht Weber. Die viermonatige Probenphase, angereichert mit vielen Zeit-Dokumenten, war daher auch eine Annäherung an ein Land, das es für die Schüler nie gab.

Das Resultat ist eine Polit-Posse, die sich sehen lassen kann. Die Geschichte um den Rentier Klapproth, der auf der Suche nach Abenteuern in einer ihm als Irrenanstalt vorgegaukelten Pension landet, wird so selbstverständlich ins Ost-Berlin von 1989 katapultiert, als hätte Laufs sie so geschrieben. Überflüssige Erzählstränge sind gestrichen, manche Figuren hinzugeschrieben worden. So haben alle dreizehn spiellustigen Darsteller ihren Auftritt, alle bekommen ihre verdienten Lacher. Und die Posse selbst bekommt hier neben der Idee, dass ein bisschen Verrücktheit alltäglich und von Normalität schwer zu unterscheiden ist, eine zusätzliche Facette. Die Produktion entblößt nicht nur klischeeisierte Vorstellungen von Wahnsinn – sie nimmt auch Klischees zwischen Ost und West aufs Korn. Ausgeteilt wird in alle Richtungen.

Der Provinzler Klapproth ist hier ein West-Berliner Rentner mit grauem Riesen-Schnauzer und Jäger-Hütchen (David Immel), der mit einer Story aus Ost-Berlin am Zehlendorfer Stammtisch prahlen will. Den Gästen der Pension Schöller, die er für Wahnsinnige hält, begegnet er mit einer naiven Sensationslust, die sich immer auch auf „den Osten“ bezieht. Da ist etwa der sowjetische Hüne mit kubanischer Zigarre im Mundwinkel (Marcel Bückner), der Schauspieler Eugen, der trotz Sprachfehler nicht aufhört „Wannenstein“ und „König Near“ zu deklamieren – und natürlich Pensionsdirektor Schöller (Gregor May), der mit seiner überdimensionalen Hornbrille aussieht wie eine Mischung aus Erich Mielke und Kurt Krömer. Der beste Einfall ist das schon erwähnte forsche FDJ-Fräulein Kunze (Martina Patzwald), die Laufs grantigen Major Gröber ersetzt.

Nach dem zweiten Akt fällt in der Hermannswerderschen Version die Mauer und die Pensionsgäste strömen Richtung Westen. Als sie bei Klapproth auf der Zehlendorfer Matte stehen, ist sein Hubba-Bubba-kauender Anhang (Hilde Pank, Gloria Kretschmar und Henriette Grapentin) entrüstet: „Ein ganzes Haus voller Geisteskranker – und noch dazu aus dem Osten!“ Bevor der verängstigte Klapproth erfährt, dass auch diese vermeintlich Verrückten eigentlich „normal“ sind, sperrt er die gerade der DDR Entflohenen wieder ein – in die Zimmer seiner Villa. Über die bissige Ironie der Geschichte triumphiert jedoch am Ende das Lachen.

Man trinkt Sekt und erzählt sich, wie alles kam. Wie die DDR wird das Abenteuer „Pension Schöller“ so zur Geschichte. Die ist, wie jede gute Farce, zwar kaum zu glauben – aber irgendwie wahr.Lena Schneider

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })