Kultur: Der Weg zum aufrechten Gang
Doppelausstellung zum 60. Geburtstag von Hans-Hendrik Grimmling bei Sperl und im KunstRaum
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Eine dicke Qualmwolke umhüllt seinen Kopf. Und wie der Rauch sich im Raum verteilt, greifen auch seine Gedanken um sich. Hans-Hendrik Grimmling ist kein Leisetreter, er braucht Platz und große Gesten.
Seine Bilder, die anlässlich des 60. Geburtstages gezeigt werden, mussten gleich auf zwei Galerien verteilt werden. Und dennoch reichen die Wände nicht aus für eine Retrospektive. „Auf die müssen wir wohl warten, bis Potsdam eine Kunsthalle hat. Vielleicht zum 70. von Grimmling“, hofft Galerist Rainer Sperl, der gemeinsam mit dem Waschhaus die dennoch repräsentative Schau „Sechsmalzehn“ initiierte. Bis in die Wendezeit reichen nun die gezeigten Werke zurück: „Mauerstücke“, die eigentlich Fleischstücke sind. Denn bei Grimmling haben sich die politischen Unbilden – hüben wie drüben – immer tief ins Fleisch hinein gefressen. Wenn er über sich erzählt, kreist er vor allem um seine Leipziger Zeit, wo Kunst und Politik eine Wut schürende Allianz eingingen. Ein Bild seines Lehrers Wolfgang Mattheuer, das zeigt, wie ein junger Mann aus dem Fenster springt, soll sich auf Grimmlings Ausreise in den Westen bezogen haben, erzählt Rainer Sperl.
Die beiden hat wohl so etwas wie eine Hassliebe verbunden. Als Grimmling vor zwei Jahren einen Nachruf auf Mattheuer schreiben sollte, habe er sogleich frenetisch zugesagt, so der Künstler mit galligem Humor. Seine Malweise habe ihn als Student durchaus fasziniert. „Es hatte etwas Frisches, Neues. Die Art, sich in Metaphern auszudrücken, kannte man bislang so nicht. Aber der große Staatskünstler hätte früher auf den Tisch hauen müssen. Ich forderte ihn auf, aus der Partei auszutreten, den Nationalpreis zurückzugeben. Doch er hielt treu zur Stange.“ Andererseits verebbte seitens des Lehrers nie das Interesse an den aufmüpfigen Schüler. Er kam zu seinen Ausstellungen, auch nach der Wende, als Grimmling wieder in Leipzig seine Bilder zeigte. „Nach einer Vernissage ließ ich in der ,Pfeffermühle“ ganze Tabletts von Wodka auffahren. Am Ende taumelte Mattheuer in seinen Mantel rein und flüsterte mir zu: ,Du bist ja doch kein Verräter.“ Wie wertet man das nun?“
Grimmling wird geradezu zornig, wenn er sieht, dass noch heute bei der Lesart DDR-Kunst allein die Viererbande Heisig, Tübke, Mattheuer und Sitte zählt. „Das hört nicht auf, ist als Marktgesetz geblieben.“ Aber auch er selbst scheint sich von diesen Fesseln nicht ganz lösen zu können. Nicht umsonst ist wohl zu seinem 50. Geburtstag eine Dokumentarfilm gedreht worden mit dem Titel: „Der Meister und sein ungehorsamer Schüler.“ Gern zitiert Grimmling daraus den Lehrer, der über ihn sagte: „Er war so ein unruhiger Mensch, aber er war so begabt.“
Neben Mattheuer gewinnt auch die Farbe Schwarz immer wieder Oberhand in Grimmlings ausschweifenden und doch zupackenden Reflexionen. Sein Buch „Die Umerziehung der Vögel“, das im Herbst veröffentlicht wird, beginnt mit einem Essay zum Thema „Schwarz“. Vielleicht hängt das mit den Erinnerungen an seinen sächsischen Heimatort Zwenkau zusammen. Es wühlte ihn auf, wenn er als Kind zusah, wie das Grün der Wälder gerodet und in schwarze Kohlegruben verwandelt wurde. „Heute sind sie die schönsten Seen.“
Doch das seine Bilder dominierende Schwarz will er keineswegs als Farbe der Trauer verstanden wissen. „Sie ist Zorn und Elegie, sinnlich in ihrer Samtigkeit. Alles, was ich mit Sexualität verbinde, sehe ich auch in Schwarz: Die Liebe ist mir zum gleichen Verhängnis geworden wie die Kunst. Wer damit beginnt, läuft ein Leben lang verwundet durch die Gegend. Aber das ist ja auch das Grundmotiv, Kunst zu machen: die kokette, selbstmitleidende Melancholie.“
Dass er die DDR verließ, hing nicht nur damit zusammen, dass ihm die bunte plakative Welt und Scheinironie der Schrebergärten Mattheuers, ja die ganze Leipziger Zeit, zu unappetitlich wurde. „Wir wollten den staatlich hofierten Begriff der Kunst unterwandern und das ist uns nicht gelungen. Zudem hatte ich ein kleines Kind und wollte es nicht nur mit Frust erziehen.“ Und es frohlockte die Romantik, die Geliebte in Paris. Entschlossen verließ er den gesicherten „Hafen“, wollte ohne politischen Kontext seine Bilder zu Markte tragen. Eine schmerzhafte Erfahrung. Denn er kam zu spät. Der Westen wollte sie nicht mehr haben: die Abtrünnigen des Ostens. „Nur Penck hatte noch einen Bonus wie Biermann.“ Grimmling brauchte viel Kraft, um in Westberlin zu überleben. „Wie jeder ,Zoni“ war ich anfangs überwältigt vom Überfluss. Die größte Entfernung, die ich jemals zurück gelegt habe, waren die zehn Meter zum Tränenpalast. Das erste Bild, das ich dort sah, war die lange Schlange der Taxis. Aus Leipzig kannte ich nur die Schlange der Menschen nach einem Taxi. Und dann die vielen Lichter. Da habe ich erst einmal geflennt.“ Den ihn später abstoßenden „Kapitalismus-Scheiß“ malte er als übervolle Teller, als dicke Fleischstücke, die über den Rahmen quollen. Dann als stürzende Vögel. „Doch die waren nicht so gut, wie der Titel dahinter.“ Schließlich versuchte er es mit Installationen. „Gemeinsam mit Lutz Friedel malten wir Figuren auf transparente Häute.“ Immer mehr löste er sich von der Figur, ohne seinen Weg ganz zu verlassen. Seine Bilder wuchsen zu Verknotungen, seelischen Labyrinthen mit tiefen Fallhöhen. „Ist es wirklich möglich, als Solitär die Welt auszuhalten?“, fragt er sich immer wieder und kann dies trefflich auch mit seinen Studenten diskutieren, die er gern als Professor an der Technischen Kunsthochschule Berlin das Sehen lehrt. Auch wenn ihm das viel Zeit fürs eigene Malen nimmt.
Am besten kommt er seiner künstlerischen Last mit großen Bewegungen bei. Wenn er arbeitet, dann mit Pinsel an einem meterlangen Stock. Das Sich-Aufrichten wird zum Zeichen des aufrechten Gangs. Am Ende gibt Grimmling seinen Bildern Titel: „als Rezeptionssackgasse“. Was er selbst als Letztes im Bild gesehen hat, soll auch den Betrachter erreichen. Seine jüngsten Bilder nannte er „Deutscher Alltag“: sechsgeteilte Adaptionen auf die Farben Schwarz, Rot, Gold. Noch lassen sich die verschlungenen, vor Kraft und Vitalität strotzenden Körperteile nicht entknoten. Aber es gibt vereinzelt Herauslösungen. „Wer weiß, vielleicht kehrt man in größter Freiheit wieder zurück zur einfachen Figur. Und vielleicht finde ich am Ende auch wieder das Grün?“
Sein Zigarillo ist während des selbsterkundenden, lauten Nachdenkens erkaltet, sein Temperament keineswegs.
Eröffnung: Sonntag 14 Uhr, Grimmling Teil 1, in der Sperl Galerie, Teil 2, im KunstRaum Schiffbauergasse, 16 Uhr.
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