Kultur: Des Kaisers neue Fotos
Mitgefühlt: Arbeiten des Berliner Fotografen Peter Langer im Einstein Forum
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Mitgefühlt: Arbeiten des Berliner Fotografen Peter Langer im Einstein Forum Zwei Ponies, lange Mähne, in einem Zirkusrondell unter freiem Himmel, ihr Kopf gesenkt. Ein zerschundener Teddybär, sogar vom Blitzlicht überbelichtet. Wo, bitte schön, fragt der Banause und Kunstignorant, dessen böser Geist in den Betrachter gefahren ist, sobald die Schwelle des Einstein Forums überschritten wurde, geht“s hier denn nun zur Kunst? Auf der Vernissage „Mit Gefühl" der Fotografien Peter Langers, die das neue Programm „Zivilisationsbruch mit Zuschauer – Gestalten des Mitgefühls" des Hauses am Neuen Markt eröffnete, trug der Bauch mit dem Intellekt heftige Kämpfe aus. Peter Langer macht es dem Kunstwilligen nicht einfach. Seine 26 Bilder, alle in Farbe, haben unterschiedliche, oft kleine Formate und sind in uneinheitliche Rahmen gezwängt, und das auch noch ohne Passepartout. Die Bildauswahl scheint beliebig, die Suche nach der künstlerischen Handschrift vergeblich. Hier eine Personengruppe vor einem Komposthaufen in einer Gartenecke, dort ein bepacktes Fahrrad, die Fächer einer Jalousie in Nahaufnahme, deren Zugbänder verknotet sind. Selbst das niederträchtigste aller Urteile über Kunst, ein ratlos verzagtes „Schön!", will nicht gelingen. Denn schön im Sinne eines klassischen Kunstwerks, das mit seiner gelungenen Komposition, genialer Technik und Ebenmaß für sich spricht, sind Langers Bilder leider auch nicht. Ein Gefühl von Des-Kaisers-Neue-Kleider ist übermächtig. Sollten die anderen Gäste, die mit ihrem Rotwein in typisch innig-studierender Haltung durch die beiden Stockwerke schlenderten, die Nacktheit dieser Kunst nicht sehen? Natürlich ist das Werk Langer gar nicht nackt. Die ersten Assoziationen ließen an die Ästhetik jener Zeitschriften und Magazine denken, die Ende der Neunziger zu einem neuen Layout-Trend geführt haben, vorneweg das Jetzt-Magazin der Süddeutschen Zeitung. Und so verwundert es nicht, von der Kunsthistorikerin Roswitha Salzberger zu hören, dass Peter Langers Bilder dort genauso stilprägend wirkten wie in den nicht minder einflussreichen Magazinen brand eins und dem amerikanischen wired. Langer hat seit 1999 eine Sammlung seiner Bilder ins Internet gestellt (www.peterlanger.de) und aus diesem Archiv das Thema Mitgefühl illustriert. Die scheinbare Schnappschuss-Qualität seiner Aufnahmen nimmt ganz bewusst den Künstler als denjenigen, der die Sicht auf die Welt bestimmt, zurück. Nicht das Kunstwerk spricht in Wahrheit zu dem Betrachter. Der Text des Bildes spielt sich im Betrachter selbst ab, seine Formulierung geschieht nicht autoritär, sondern individuell. So gesehen eröffnen die Werke Langers die praktische Übung im Mit-Leiden. Anstatt Mitgefühl nur darzustellen, bietet Langers street photography eine Schule der Empathie. Die Ponies werden so zu bemitleidenswerten Spielzeugen, die ihr Leben im ewigen Rund fristen, die Blessuren des ausgesetzten Stoffteddys fangen so an, etwas über die unbegründete Wut seiner kindlichen Besitzer zu erzählen. Matthias Hassenpflug Zu sehen ist die Ausstellung wochentags von 9 bis 16 Uhr am Neuen Markt 7 (bitte klingeln).
Matthias Hassenpflug
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