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Kultur: Dialog statt Hypnose

Siegward Sprottes Porträtmalerei und seine Grenzen – Jutta Götzmann hält heute darüber im Potsdam Museum einen Vortrag

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Im Potsdam Museum ist unter dem Titel „Die Welt farbig sehen“ eine große Retrospektive zum 100. Geburtstag des Potsdamer Malers Siegward Sprotte zu sehen. Auf einer Fläche von 600 Quadratmetern wird Sprottes Lebenswerk in seiner Komplexität gezeigt: 175 Arbeiten des Künstlers, die von 1929 bis 2003 entstanden sind. Mit Beiträgen in loser Reihenfolge begleiten die PNN diese Ausstellung. Heute geht es um das Porträt im Schaffen Sprottes.

Das Porträtieren gehört vor allem in die Anfangsjahre seines Schaffens. Später streift Siegward Sprotte dieses Genre ab wie zu eng gewordene Kinderschuhe. Sie zwängen ihn ein, geben ihm nicht mehr den nötigen Spielraum zur freien Bewegung.

Sprotte, der malende Philosoph, will mehr als das Abbild des Menschen schaffen. Er möchte Dialoge malen. Als er erkennt, „dass der Malprozess des Portraitierens – des Bildnismalens – den Portraitierten hypnotisiert“, wie er notierte, malt er keine Bilder von Menschen mehr. Er sucht den menschlichen Atem fortan in der Landschaft, findet Synonyme, um Bewegen und Verharren, Sehnsucht und Trauer indirekt und damit in größerer Dimension darzustellen. „Sprotte übertrug das Porträt auf die Landschaft“, wie die Direktorin des Potsdam Museums, Jutta Götzmann, sagt. Sie hält heute um 19 Uhr einen Vortrag zum Thema: „Siegward Sprotte: Vom Portrait zur Landschaft“, dem eine kurze Führung entlang der Porträtreihe im Entree der Ausstellung im Untergeschoss folgt.

Fast wie eine Prophezeiung wirkt sein Selbstbildnis mit Lebensbaum, das Sprotte 1937 im Alter von 24 Jahren malt: Schon damals zeigt er sein Verwachsensein mit der Natur. Ein Ast des Lebensbaums rankt ihm über die Schulter, gibt dem strahlend hellen Gesicht und der Hand Halt und Rahmen. Schon mit 17 beginnt der Potsdamer mit dem Porträtieren. Später sitzt er in der Preußischen Akademie der Künste in Berlin bei Maximilian Klewer im Malsaal, obwohl er der Akademie wenig Bedeutung beimisst. Sie reiche nicht mal, um das Handwerkszeug des Schreibens zu erlernen, tat er die Ausbildung ab. Doch von Klewer erhält Sprotte den Auftrag, einen Universitätsprofessor zu zeichnen, offensichtlich hatte der Dozent das Talent seines Schülers erkannt. Sprotte schult seinen Blick und seine Technik vor allem an den großen Meistern. Albrecht Dürer ist für ihn der Gipfel der europäischen Kunst und das Porträt von Dürers Mutter betet er geradezu an. Dürers „Selbstbildnis im Pelzrock“ inspiriert Sprotte in der Haltung der Hand zu seinem Selbstbildnis mit Lebensbaum. Und das Porträt seiner kleinen Schwester Dietlind ist in der Perspektive und der Kopfneigung ganz nach Dürers Mutter gemalt – wie man in der Ausstellung im Alten Rathaus bestens vergleichen kann. „Ein Kopf, der mir so liegt, weil ich fast ganz mich selbst darin wiederfinde“, schreibt Sprotte, den mit der Schwester sehr viel verbindet. Als er die damals Neunjährige porträtiert, hat er gerade in Italien, dem Land seiner Sehnsucht, die altmeisterliche Lasurtechnik der Florentiner Renaissancekünstler studiert. In der abwechselnden Schichtung von Ölfarb-Lasuren und Eitempera-Farbe bringt er ihr Gesicht vor dunkelrotem Hintergrund geradezu zum Leuchten. Insgesamt existieren nur vier gemalte Porträts von Siegward Sprotte: alle in dieser altmeisterlichen Technik.

Nach 1938 porträtiert er nur noch mit Zeichenstift und Kohle. Höhe- und zugleich Schlusspunkt sind nach zehnjähriger Porträtier-Pause seine „Köpfe der Gegenwart“ Anfang der 50er-Jahre, in denen er große Philosophen und Schriftsteller verewigt, darunter Eugen Herrigel, Ortega Y Gasset und Hermann Hesse. Hesses Buch „Siddhartha“ hatte er als junger Mann geradezu verschlungen. Seine Bewunderung für Hesse hält lebenslang. Und Hesse ist es wohl auch, der Sprotte vom Porträtieren abbringt. Als der Maler den von ihm verehrten Schriftsteller 1954 in Montagnola besucht, erkennt Sprotte, dass er den Dichter nicht so einfach abbilden kann. In knapp einer Stunde entsteht eine Kohlezeichnung, die ihm seine Grenzen des Porträtierens bewusst macht. Sprotte hält anschließend fest: „Vorgestern zeichnete ich Hesse, sein linkes Profil. Beim Finden von Ort, Beleuchtung und Stellung ließ ich mir Zeit. Als ich endlich mit dem Zeichnen beginnen wollte, sagte Hesse: ,Herr Sprotte, genau, wo Sie jetzt stehen und wo ich sitze, hat mich auch der mir befreundete Maler Morgenthaler aus Zürich gemalt. Sie haben, als Sie rückten und rückten, nach und nach dieselbe Ansicht und Stellung ausgesucht.“ Für Sprotte wohl eine Schlüsselszene, mutmaßt Jutta Götzmann. Denn der Maler, der den ganz unmittelbaren Bezug zu seinem Gegenüber gesucht hat, den Dialog, übernimmt eine vorgegebene Position, wie es andere bereits vor ihm taten. „Das hat ihm sicher nicht gefallen“, so die Direktorin. Sprotte will keine festgefügten Rollen. Ihm geht es um die Überwindung von Zeit und Raum, so wie es der Philosoph Jean Gebser formuliert, den er ebenfalls porträtiert. Sprotte kommt in seinen Porträts künstlerisch nicht mehr weiter. Sicher sieht er auch den Unterschied zu den Porträts von Picasso, dem es gelang, diese Eingesichtigkeit aufzuheben. Sprotte geht einen anderen Weg: In seinen Bildern entschwindet in den 50er-Jahren der Mensch als Figur. Seine zwei Stränge Porträt und Landschaft, mit denen er zu malen beginnt, münden schließlich in seinen Landschaftsbildern, die durchaus das menschliche Leben atmen. Sie zeugen von Vitalität und Veränderung: mit der Natur als Spiegel des Menschen. „Ich male, um mein Innerstes bildlich werden zu lassen“, schreibt Sprotte, als er längst seinen Kinderschuhen entwachsen ist.

Heute um 19 Uhr, Potsdam Museum, Alter Markt, Eintritt 6 Euro

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