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Kultur: Die Brandenburg-Texas-Connection

Was ist wo? Der Fotograf Rainer Sioda zeigt im Kunstraum ein vielteiliges Bilder-Rätsel

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Ein paar flache Holzhütten, matschiger Boden, Western-Style. Auf dem Dach, fast trotzig, die US-Flagge gehisst. Klar, wo man ist, oder? Irgendwo in Amerika. Da, wo Cowboy-Romantik unter einem sonnenlosen Himmel zur Realität geronnen ist. Ist aber falsch. Die Enten, die vor den dunklen Saloontüren im Schlamm picken, sind Brandenburger Enten, die Westernstadt liegt in Gersdorf.

Zufall, eine seltene Dopplung der Stimmung? Auch nicht. Der Berliner Fotograf Rainer Sioda ist mit dem Rennrad durch beide Länder geradelt – und festgehalten, was ihm ähnlich schien. Ein ganzes Buch hat er gefüllt mit dieser Atmosphäre, die er sowohl in Brandenburg als auch in den USA findet, konsequent hat Claudio Pfeifer, der Verleger und Gründer von Pogobooks, darin auf jeder Doppelseite die märkische und die amerikanische Tristesse gegenübergestellt.

In der Ausstellung, die am heutigen Donnerstag im Kunstraum des Waschhauses eröffnet, ist das Prinzip nicht ganz so streng durchdekliniert – da dürfen auch mal zwei Brandenburg-Ansichten einen Klassiker der US–Fotografie flankieren. „Fast jeder große Fotograf hat das in der ein oder anderen Form so festgehalten“, sagt Rainer Sioda zu der langen Flucht ins Nichts, dem leeren Highway, der in den Horizont stürzt. Links und rechts davon ist der Bildaufbau formal zwar fast identisch: Zwischen Garagentoren zielt auch hier eine Gerade nach vorne, tief ins Bild hinein – nur, um dort ausgebremst zu werden von einer Reihe Kiefern. Ende Gelände.

Hier ist es relativ leicht, zu erraten, was dies- und was jenseits des Atlantiks liegt. „Transatlantic Relations“ heißen übrigens Ausstellung und Bildband. „Das ist natürlich totale Überhöhung, totaler Quatsch“, sagt Sioda. Natürlich sind die Beziehungen, von denen er hier in seinen Bildern erzählt, vor allem Produkte seiner künstlerischen Gestaltung. Er hat sie nicht aus dem Nichts heraus erfunden, aber es bedurfte schon seines – sehr humorvollen – Blicks, um sie zu erkennen.

Bei manchen Bildpaaren ist die Ähnlichkeit rein formal, da stimmen Farben, Architektur und Stimmung – bei anderen gibt es inhaltliche, politische Analogien – auch wenn es für den Betrachter oft tatsächlich schwer auszumachen ist, wo er sich gerade befindet.

Da gibt es etwa eine Reihe von Fotos, die an Tatort-Bilder erinnern. Sie könnten aus dem Crystal-Meth-Epos „Breaking Bad“ stammen – eine verlassene weiße Baracke unter Kiefern, ein US-Polizeiwagen auf einem grasüberwucherten Parkplatz. Immer lohnt es sich, genau hinzusehen. Der Ami-Schlitten mit Originalkennzeichen ist flankiert von zwei Karren deutscher Produktion. „Diese Vorliebe für Western, amerikanische Autos, die findet man auf dem Brandenburger Land schon sehr deutlich“, sagt Sioda.

Das war seine erste Beobachtung. Als er dann durch die USA reiste, wollte er die Gegend, die er wirklich kennt, mit der gegenschneiden, die er zu kennen glaubte. Aus Hollywoodfilmen, Werbespots. Er wollte herausfinden, wie die Amerikaner selbst mit ihren eigenen Mythen umgehen, mit dem, was vor allem die Ikonen der 1950er- und 60er-Jahre geprägt haben: John Wayne, Marilyn Monroe, King Kong. „Vieles davon spielen die sich heute auch nur noch vor“, sagt Sioda. Und er hat recht: Ob sich da ein Riesenaffe traurig an einen Büroturm klammert – oder die verwaschene Wand der Venus-Lichtspiele in Beelitz vor sich hin erodiert, ist eigentlich egal. Es passt. Wo sich Spuren des amerikanischen Traums in der Landschaft finden, wirken sie heute so abgetakelt, dass die Assoziation zur Verlassenheit der Brandenburger Weite durchaus naheliegt.

Manchmal taucht auch der Kalte Krieg wie nie beigelegt wieder auf – und diffundiert in jüngere Konflikte. Hier ein russischer Panzer im Schnee, dort eine „United-We-Stand“-Skulptur unter Plasikpalmen. Hier eine Lenin-Statue in Finowfurt, über deren Kopf ein paar Raketenköpfe ragen – dort ein US-Militärhubschrauber aus dem Irak-Krieg, aufgebockt, als sei er selbst ein Kriegsheld. Und dann wieder ist es die Landschaft selbst, die sich in ihrer sandigen Weite so ähnelt, ganz ohne menschgemachten Schrott.

Für Claudio Pfeifer, der aus der Punk-Szene kommt und der seine Fanzines und unter die Haut gehenden Bildbände mittlerweile international vertreibt, hat sich durch die Arbeit mit Sioda vor allem der Blick auf Brandenburg verändert. Den Ort also, der auch ihm geografisch eigentlich näher liegt. Das eben ist der Clou in „Transatlantic Relations“: Das vermeintlich Vertraute wird einem fremd – während einem Brandenburg auf seine spröde Art plötzlich ganz nahe kommt.

„Transatlantic Relations“ wird am heutigen Donnerstag um 20 Uhr im Kunstraum des Waschhauses, Schiffbauergasse, eröffnet und ist dort bis zum 12. Juli zu sehen.

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