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Kultur: „Die Chausseen der Dichter“

Ein Zwiegespräch über Peter Huchel und die Poesie

Ein Zwiegespräch über Peter Huchel und die Poesie 1963 erschien im S. Fischer Verlag Frankfurt (Main) der Gedichtband „Chausseen Chausseen“ von Peter Huchel. Damals lebte Huchel bereits von den DDR-Oberen verfemt, von ehemaligen Kollegen verlassen und von früheren Freunden verraten zurückgezogen in Wilhelmshorst bei Potsdam. Im Laufe der Jahre nahm die Isolation zu. Als Huchel 1971 schließlich die DDR in Richtung Italien verlassen durfte, war er in der DDR kaum noch bekannt. Auch im Westen war er eher als politischer Fall denn als Lyriker von überragender Bedeutung interessant. An dieses Schicksal erinnern Reiner Kunze und Mireille Gansel in ihrem Buch „Die Chausseen der Dichter“. Kunze gehörte zu den wenigen treuen Freunden, die Huchel weiterhin besuchten. 1977 verließ er selbst die DDR, weil er den Angriffen der Staatssicherheit nicht mehr gewachsen war. Mireille Gansel, französische Literaturwissenschaftlerin, reiste 1970 in die DDR und besuchte Kunze und Huchel. Sie hat beide ins Französische übersetzt. Das vorliegende schmale Buch gibt ein Gespräch wieder, das die Autoren im März dieses Jahres über die Dichtkunst, über das Widerständische in der Literatur und über Peter Huchel geführt haben. Mireille Gansel fragt kritisch nach Huchels Haltung im Dritten Reich. Für sie „war es ein Schock“, als sie erfuhr, „dass Huchel in der Nazizeit viele Gedichte veröffentlicht hat“. Anders als Brecht im Exil konnte Huchel in Deutschland nicht offen Kritik am Naziregime üben. Darin sieht Kunze Huchels Tragik, dass er, indem er Gedichte veröffentlichte, „unvermeidlich zu einem kleinen Instrument in Goebbels“ Orchester geworden ist“. Mireille Gansels Einwurf, Huchels Naturlyrik sei von den Nazis „ausgenutzt worden“ entgegnet Kunze mit dem wunderbar klaren Satz „Alles, was deutbar ist, ist missbrauchbar“. Auf Adornos Behauptung, nach Auschwitz ließe sich kein Gedicht mehr schreiben (die übrigens 1966 von Adorno selbst zurückgenommen wurde), antwortet Kunze mit der Frage, ob der Mensch nach Auschwitz noch Sauerstoff zum Leben brauche. Wenn dies richtig sei, brauche er auch „Menschlichkeit“. Die „Menschlichkeitskonstante“ gehöre zum Wesen der Kunst; und deshalb sei Kunst auch nach Auschwitz nicht nur möglich, sondern auch nötig. Huchel war „in einer bestimmten Landschaft verwurzelt“, in der Mark Brandenburg. Für ihn war der Übergang in die Bundesrepublik, anders als für Kunze, ein Übergang ins Exil. Kunze ging „von Deutschland nach Deutschland“. Huchel verließ die Region, in der er am wenigsten fremd gewesen war. Vor dem Hintergrund der vielen neueren Bücher, die die DDR verharmlosen, bekommt das Gespräch zwischen Gansel und Kunze besondere Bedeutung. Es rückt die Dinge gerade, ohne Rechthaberei, aber im Bewusstsein der Verantwortung für die Wahrheit. Jürgen Israel Reiner Kunze und Mireille Gansel, „Die Chausseen der Dichter. Ein Zwiegespräch über Peter Huchel und die Poesie“. Radius-Verlag Stuttgart. 16 Euro.

Jürgen Israel

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