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Kultur: Die Citrusfrucht aus Sachsen Helga Schütz stellt ihren neuen Roman „Sepia“ vor

Sie will auch so schlau aussehen wie die mit den dunklen, in die Stirn gekämmten Fransen: so wie ihre Kommilitonen mit dem Brecht-Schnitt. Wenigstens äußerlich dazugehören, wenn man schon keine Ahnung hat, wer dieser Brecht eigentlich ist.

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Sie will auch so schlau aussehen wie die mit den dunklen, in die Stirn gekämmten Fransen: so wie ihre Kommilitonen mit dem Brecht-Schnitt. Wenigstens äußerlich dazugehören, wenn man schon keine Ahnung hat, wer dieser Brecht eigentlich ist. „Wenn man Bertolt Brecht nicht kennt, kann man hier auf dem Kartoffelacker niemanden verstehen“, so Elis bittere Erkenntnis. Sie, die „Citrusfrucht aus Sachsen“, weiß indes, wie man Bäume pflanzt oder zurückschneidet. Doch das interessiert niemanden. Auch nicht, dass es keine Raben sind, die da auf dem Feld bei Ketzin picken, sondern Saatkrähen, die mit eigenwilliger Formation den Acker einnehmen und hüpfen, als wären sie auf einem Bein lahm. Aber soll sie den rotbäckigen Assistenten Erwin Schubert, der im Auftrag der Hochschule für Kinematographie in Potsdam den Ernteeinsatz koordiniert, verbessern? Hier, unter den Intellektuellen, ist die gelernte Gärtnerin aus Dresden so etwas wie „die proletarische Perle in der goldenen Krawattennadel“, die Quotenfrau der Arbeiterklasse unter den Studenten.

Die Potsdamer Autorin Helga Schütz führt in ihrem neuen Roman „Sepia“, den sie am kommenden Sonntag in der Villa Quandt vorstellt und der offensichtlich stark vom eigenen Erleben biografisch gefärbt ist, in das Jahr 1958 zurück. Mit heiterem Unterton beschreibt sie die Naivität, mit der die 17-jährige Eli beginnt, die Welt allmählich zu begreifen, wie sie lernt, Schein und Sein auseinanderzuhalten und der eigenen Metamorphose staunend zuschaut. Mutig wagt das Mädchen den Schritt in die Nähe Berlins, die ihr Theaterbesuche und eine spannende Filmwelt verspricht, weit weg vom schrägen Großvater, der Eli ein halbes Jahr nach der Bombennacht in Dresden im Kinderheim wiedergefunden hat, als kleinen kranken Wurm, der kaum auf eigenen Beinen gehen konnte. Er hat sie aufgepäppelt. Und jetzt steht Eli entschlossen auf ihren zwei Beinen und lernt sich zu behaupten und der eigenen Meinung zu vertrauen. Ihr Bett steht im Mädchenheim, in der Tauber-Villa, wo einst der berühmte Sänger Richard Tauber wohnte. Und ihre Schule ist in der Villa am See, mit Blick auf den Westen, wo Stalin während der Potsdamer Konferenz residierte. Es ist die Zeit, wo man noch – wenn man sich traut und die Gefahr der Exmatrikulation in Kauf nimmt – ins Kino am Kudamm gehen kann. Es ist auch die Zeit der großen Liebe, die sich auf einmal von der anderen Seite der Mauer meldet. Doch selbst als genau vor der Hochschule die Mauer hochgezogen wird, löst Eli ihre Konflikte nicht nach ideologischen Vorgaben, sondern nach gesundem Menschenverstand – naiv, dickköpfig, listig. Und inzwischen mit Brecht bestens vertraut.Heidi Jäger

Lesung und Gespräch am Sonntag, 23. September um 11 Uhr, in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, es moderiert Peter Walther, Karten unter Tel.: (0331)2804103, Eintritt: 7/ ermäßigt 5 Euro

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