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Kultur: Die eleganteste Form der Bestechung Über „Jagd und Macht“ in der Urania

Mehr als andere Rituale hat die Jagd mit allem „Zubehör“ Einfluss auf Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Wird man zum Halali eingeladen, folgen auf ganz leisen Sohlen Protektion, Wirtschaftsaufträge, connectionhafte Zugehörigkeiten.

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Mehr als andere Rituale hat die Jagd mit allem „Zubehör“ Einfluss auf Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Wird man zum Halali eingeladen, folgen auf ganz leisen Sohlen Protektion, Wirtschaftsaufträge, connectionhafte Zugehörigkeiten. So weit dies das wohl berühmteste Jagdgebiet weit und breit, die ausgesprochen wildreiche Schorfheide betrifft, war das schon seit tausend Jahren so. Kurfürsten und Markgrafen, Kaiser und Könige, Staatspräsidenten und Diplomaten, ein Reichsjägermeister und sogar ein Staatsratsvorsitzender frönten diesem unbegreiflichen Tun am Werbellinsee. Carinhall alias Schloss Hubertusstock, waren mit wichtigen, ja weltpolitischen Entscheidungen verknüpft: Ein Affront Wilhelm II. gegenüber Zar Alexander III. beim Jagen war der Anlass für die folgenschwere Abkühlung der deutsch-russischen Beziehungen 1889, „Reichsjägermeister Hermann Göring“ betrieb hier nicht nur Diplomatie, auf Carinhall fanden auch alle wichtigen Besprechungen zum Luftkrieg gegen England statt – was die Alliierten freute, denn hier galt früh „der Feind hört mit!“. Genau deshalb wurde diese Idylle nie bombardiert.

Auch das geflügelte Wort „Ohne uns keine DDR!“, 1970 mahnend vom Kreml-Chef Breschnew zu Emporkommer Honecker gesprochen, hörten Schorfheides Bäume, damals noch aus Eichen und Buchen bestehend. Immer schon war die Jagd eben auch „eine Art von Krieg“ (Götz von Berlichingen), zumindest „die eleganteste Art der Bestechung“.

Zusammen mit Helmut Suter, Co-Autor, passionierter Jäger und Leiter des Museums „Schorfheide“, hat sich der Zeithistoriker Burghard Ciesla daran gemacht, die Geschichte dieses berühmten Jagdreviers zu erforschen. Dabei sei man „auf ganz erstaunliche Zusammenhänge“ gestoßen. Welche, das erzählte der gebürtige Gubener am Dienstag, als „Jagd und Macht“ in der Urania vorgestellt wurde.

Man hörte zum Beispiel, dass Preußens Neutralität im Krimkrieg 1853-56 im Jagdrevier Schorfheide beschlossen wurde, dass Göring den östereichischen Außenminister hier schon 1937 auf den Anschluss seines Landes an Deutschland vorbereitete. Allein die Jagd brachte am Werbellinsee Mitte der zwanziger Jahre zwei so unterschiedliche Politiker wie Ministerpräsident Otto Braun und Paul von Hindenburg zusammen, später auch das Jägermeisterpaar Erich Honecker und Franz Josef Strauß. In der Schorfheide wurde der Sturz von Ulbricht geplant, auch die Abdankung Erich Honeckers durch Egon Krenz und Konsorten. Und wie beendete Honecker am 8. 11. 89 sein politisches Leben? Mit dem Abschuss von drei Hirschen in der Schorfheide! Wen er damit wohl als Mensch gemeint haben mochte? Jagdgeschichte ist immer auch Zeitgeschichte.

Ein höchst „ungewöhnlicher Zusammenhang“ ist auch dieser: Dauerte eine Politbüro-Sitzung unter dem „Sonntagsjäger“ Ulbricht bis zu vierzehn Stunden, so verkürzte sein Nachfolger sie oft auf zwei, denn Honecker drängte es in den Wald. Wundert es noch, wenn alles mit Halali den Bach herunterging? Welchen Anteil die fünfzehntausend russischen Jagd-Offiziere daran hatten, die sich als rabiate Wilddiebe und Schonzeit-Schützen betätigten, ist wieder eine andere Geschichte. Wie auch das Thema „Diplomatenjagd“, bei dem man spontan an das gleichnamige Lied von Reinhard Mey denken muss: „nur daß er das Wort ,Diplomatenjagd’ – wohl etwas zu wörtlich genommen hat!“ Ein wunderbares Buch also! Gerold Paul

Burghard Ciesla, Helmut Suter: „Jagd und Macht. Die Geschichte des Jagdreviers Schorfheide“, be bra Verlag 24.95 Euro

Gerold Paul

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