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Kultur: Die Enge fühlbar werden lassen

Heute läuft der Film „Ghetto“ im Thalia an / Die Kamera führte der Stahnsdorfer Andreas Höfer

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„Dieser Film wird es in den deutschen Kinos sicher nicht leicht haben“, mutmaßt Andreas Höfer. Schon zu oft sei das Thema Nationalsozialismus auf der Leinwand „strapaziert“ worden. Wer sich „Ghetto“ dennoch anschaue, werde aber bestimmt in diese wahre Geschichte mit hinein gezogen. Ihn selbst habe sie tief berührt, so der Stahnsdorfer, der bei dieser heute im Thalia anlaufenden ersten deutsch-litauischen Koproduktion die Kamera führte.

Der Film geht zurück in das Jahr 1941 und erzählt über das Leben im Ghetto von Vilna (Vilnius), eines der größten abgetrennten jüdischen Wohnviertel Europas. Dort hat der blutjunge 22-jährige Nazi-Offizier Kittel (gespielt von dem Babelsberger HFF-Absolventen Sebastian Hülk) das Sagen. „Er ist eine schizophrene Persönlichkeit: sehr brutal und auch sehr kunstinteressiert. Er befiehlt, in dem leerstehenden Theater des Stadtviertels, in dem inzwischen die Kleidung der Toten sortiert wird, wieder Stücke aufzuführen“, erzählt Höfer. Kittels Befehl, ein Ensemble zu gründen, wird nach anfänglichem Zögern zunehmend gern Folge geleistet, „schließlich bewahrte eine Arbeitserlaubnis vor der Deportation.“ Diese dreijährige Ghetto-Zeit, in der sich der Offizier in eine jüdische Schauspielerin verliebte, hielt der Bibliothekar der Ghetto-Bücherei in seinem Tagebuch fest. „Der israelische Autor Joshua Sobol, dessen Eltern in dem Ghetto lebten, schrieb bereits in den 80er Jahren ein Theaterstück darüber, das weltweit Erfolg hatte, vor allem auch in der Inszenierung von Peter Zadek.“

Vor drei Jahren besann sich der litauische Regisseur Audrius Jezénas – ein Physiker, der nach der Wende im Baltikum zum Quereinsteiger der Filmbranche wurde – noch einmal auf diesen Stoff. Er bat den inzwischen 62-jährigen Sobol, sein Stück zu adaptieren. „Sobol gab sich sehr große Mühe, nun auch das Drehbuch zu schreiben, das nicht identisch mit dem Theaterstück ist. Für Litauen, wo vor dem Krieg über 50 Prozent der Einwohner jüdisch waren, ist die Judenverfolgung heute noch ein weitgehend unbearbeitetes Thema. Dort fängt man erst an, auch nach der eigenen Schuld zu fragen.“

Bei der schwierigen Geldsuche für seinen Film habe der hoch ambitionierte Regisseur schließlich in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg offene Ohren gefunden. So kam es auch, dass bei dieser Koproduktion Andreas Höfer mit ins Boot steigen konnte. „Ich wurde von dem Schauspieler Joachim Król empfohlen, der mich als Zuschauer von meinen Filmen mit Andreas Dresen ,Nachtgestalten“, ,Wichmann“ und ,Sommer vorm Balkon“ kannte. Allerdings spielte Król am Ende gar nicht die ihm anfänglich zugedachte Rolle des Chefs der jüdischen Ghetto-Polizei. Die übernahm dann Heino Ferch.“

Im Sommer 2003 fuhr Höfer schließlich zu den Dreharbeiten nach Vilnius – und war begeistert. Von den Menschen ebenso wie von den Originalschauplätzen: den Kellern, Hinterhöfen, Katakomben. „Das originale Theaterhaus war allerdings für unsere Zwecke zu klein und zu gut restauriert. Deshalb drehten wir in dem sehr morbiden russischen Nationaltheater.“ Wie in den Filmen mit Andreas Dresen und mit Volker Schlöndorff habe er auch diesmal sehr viel mit der Handkamera gearbeitet. „Es hat Spaß gemacht, in die Gesichter zu schauen, auch in die der litauischen Komparsen, in denen sehr viel Emotionalität abzulesen war. Ich bin wirklich stolz, was wir optisch geschafft haben.“ Allerdings ginge dem Film durch die deutsche Synchronisation etwas von seiner Kraft verloren und wirke vielleicht durch die Theatersprache etwas spröde. „Ich finde ihn aber auch durch seine allgemein gültigen philosophischen Wahrheiten spannend. Sie erzählen etwas über die Abgründe der menschlichen Seele. Es gibt nicht das Böse und das Edle an sich, hier wird nicht in Hollywood-Manier schwarz-weiß gezeichnet.“ Gerade die Rolle des jüdischen Polizei-Chefs zeige den Balanceakt. „Er musste mit Menschen handeln, um Menschenleben zu retten. Kann man darüber richten?“

Andreas Höfer liegt auch in seiner Kameraführung die Hollywood-Ästhetik fern. „Ich versuche die Poesie aus dem Moment heraus zu holen, aus den Gesichtern, aus kleinen Gesten. Man soll spüren, dass die Kamera ,atmet“, den Eindruck haben, man wäre dabei.“ Filme wie „Der Pianist“ lägen ihm eher fern. „Ich habe mir ,Jakob der Lügner“ zum Vorbild genommen.“ Wie in dem Streifen von Frank Beyer wollte er die Enge des Ghettos fühlbar werden lassen. „Es ist doch unvorstellbar: Man läuft in nur 20 Minuten durch das gesamte Ghetto, in dem zig Tausende Menschen zusammengepfercht waren. Zum Teil lebten sie versteckt unter der Erde in den Katakomben, um nicht von den Nazis erwischt zu werden.“ Wenn Andreas Höfer über seinen Film spricht, merkt man ihm durchaus noch das Wellental der Gefühle an, in das ihn diese Arbeit zog. Auch wenn sie inzwischen drei Jahre zurückliegt. „Dass sie erst jetzt in die Kinos kommt, lag an dem fehlenden Geld. Es war klar, dass sie kein großer Publikumsrenner wird. Für die Postproduktion musste erst wieder neu eine Finanzquelle aufgetan werden. Aber vielleicht war diese Verzögerung ganz gut, sonst wäre der Film vielleicht in Konkurrenz zu ,Sophie Scholl“, ,Der neunte Tag“ und ,Der Untergang“ gelaufen. Das wäre auch deswegen schwierig gewesen, da Ghetto nicht unbedingt für Deutschland gemacht wurde.“ In Litauen habe der Film indes ein großes Echo gefunden. „Zur Premiere im Februar in Vilnius waren alle sehr aufgeregt. Als die Jüdische Gemeinde ihn abnickte, war man erleichtert. Die Situation ist dort bis heute nicht einfach.“ Andreas Höfer freut sich, dass „Ghetto“ nun auch in seinem Heimatkino läuft. „Das ist ja nicht selbstverständlich.“

Derzeit ist er mit letzten Handgriffen noch mit einem anderen Streifen beschäftigt: mit „Streik“ von Regisseur Volker Schlöndorff. „Es gibt viele Parallelen zu ,Ghetto“, auch weil es sich um einen historischer Stoff und um ein Thema handelt, das nicht bei allen beliebt sein wird.“ Der für die Filmfestspiele in Venedig eingereichte Film erzählt von dem Ursprung der Solidarnosc, der einer Frau zu verdanken ist.Ansonsten freut sich Höfer, der gerade auch für eine ZDF-Komödie die Kamera führte, jetzt vor allem auf die Fußballweltmeisterschaft. „Zwei Spiele werde ich mir im Stadion anschauen.“ Zudem genießt er in seiner drehfreien Zeit seine vier Katzen und seinen biotopmäßig angelegten Garten, in dem auch ganz spezielle Pflanzen gedeihen. „Was nach der WM ist, weiß ich noch nicht. Ein Kameramann lebt immer auf dem Sprung.“

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