
© Andreas Klaer
Von Heidi Jäger: Die Faszination des Guten und Bösen
Der Maler Lutz Friedel zeigt ab Samstag anlässlich zwei Jahre Museum Fluxus+ neue Arbeiten
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Ausgemachte Bösewichte hängen neben vergötterten Schöngeistern, Opfer der Geschichte neben Tätern, Ankläger neben Verleumdern. So geht Walter Ulbricht mit Rosa Luxemburg auf Tuchfühlung, Anne Frank mit Himmler-Tochter Gudrun, Thälmann mit Stalin. Selbst Hitler stimmt in diesem vielstimmigen Kanon ein, allerdings mit unschuldiger Knabenstimme in Außenseiterposition. Was ist die Botschaft dieses seltsam anmutenden menschlichen Sammelsuriums? Was bringt die so uneinen Köpfe der Geschichte an diesem Ort zusammen?
Es ist die Reflexion des Malers und Bildhauers Lutz Friedel, die die Fäden zwischen diesen 70 Protagonisten aus Kunst und Politik knüpft und sein eigenes Leben „schrammten“. Der Titel dieser Porträtreihe, die der Künstler am kommenden Samstag zum zweijährigen Geburtstag des Museums Fluxus+ in der Schiffbauergasse eröffnet, mutet nicht weniger skurril an wie das Bildereck. „103 Möglichkeiten, die Zeit tot zu schlagen. Meine Selbstporträts zwischen 1635 und 2003“ überschrieb der in Berlin und in dem havelländischem Dorf Schönholz/Gollenberg arbeitende Lutz Friedel seinen Werkkomplex, der ihn bis Rembrandt zurückführt. Das „Selbst“ schleicht sich ganz augenscheinlich in die Schau hinein. Lutz Friedel malte seine Porträts auf alten Plakaten, die für vergangene Ausstellungen von ihm warben. So lugen unter den expressiven Köpfen in Farbe oft noch die übermalten Risse seiner bekannten Köpfe aus Holz hindurch. Auch Spuren des Namenszuges des Künstlers ziehen sich durch die Übermalungen.
Zu jedem der Porträts hat Lutz Friedel eine Geschichte parat, auch wenn sie sich manchmal wie zufällig in seine Aufmerksamkeit mogeln. Wenn er zum Beispiel die Zeitung durchblättert und plötzlich an Walter Ulbricht nicht vorbeikommt. Oder an der Publizistin Hannah Arendt. Die Faszination des Guten wie des Bösen bricht sich im freien „Abmalen“ entdeckter Fotos ihren Weg. „Auf einer Leinwand würde ich dieses Spiel von Zufall und Moment nie spielen. Müsste ich Ulbricht auf eine weiße Leinwand bringen, würde ich mir die Finger brechen.“ Auf seinen Collagen mutet er es sich zu. „Wenn es nicht gelingt, schmeiße ich das übermalte Plakat einfach weg. Dadurch habe ich eine viel größere Freiheit und Originalität.“
Nicht alle Berühmtheiten wird man im Friedelschen Duktus auf dem ersten Blick erkennen. Doch der Betrachter bekommt im Museum eine Namenskladde in die Hand und kann sich so auf einen geführten und doch eigenen Entdeckungsfeldzug begeben. Dort wird er den großen Verführer Goebbels, dessen Tagebücher Friedel gelesen hat, ebenso finden, „wie den armen ,Hans Wurst’ Horst Wessel, der aufgrund eines Zuhälter-Streits um eine Nutte totgeschlagen und von Goebbels zum Helden stilisiert wurde“. Bei Lutz Friedel bleibt er ein belangloser, gutaussehender Mann, „ebenso wie Adolf Eichmann, dem man nicht ansieht, dass er der Böseste der Bösen war.“ Ja und auch an Hitler kam der Künstler nicht vorbei, „gerade nach dem unsäglichen Film ,Der Untergang’. Welche Rolle spielt es, dass Hitler ein Mensch war? Er hat 50 Millionen umgebracht.“ Eine ganze Serie malte Lutz Friedel mit Hitler-Konterfeis, in denen der „Ver-Führer“ immer nur lächelt. Genannt hat er die Reihe „o.T. Für Sebastian Haffner“. Er erinnerte sich dabei an eine Fiktion Haffner, in der der Publizist den Gedanken beschreibt, wie jemand einem Jungen auf einer Wiese in Österreich begegnet. Als er erfährt, dass dieser Junge Adolf Hitler ist, überlegt er, ob er nicht mit einem Stein dessen Schädel spalten sollte, um das spätere Unheil zu verhindern. Eine Antwort fand dieser jemand nicht.
Der 1948 in Leipzig geborene Lutz Friedel gehört zur Nachkriegsgeneration. „Auch wenn es in meiner Familie keine Opfer des Naziregimes gab und, wie ich denke, auch keine Täter, ist das Thema immer da.“ Mehrmals fuhr er nach Buchenwald, nachdem ihn dieser Ort der Vernichtung auf seiner Jugendweihefahrt so nachdrücklich bewegt hatte. Immer wieder bohrt sich die deutsche Geschichte in Friedels Werk hinein. Auch die jüngere, die er selbst erlebte. Sie gehört zu seiner Selbstumsegelung, die ihn aufs Meer hinaus und wieder zu sich zurückgetrieben hat. Mit einigen Böen und auch Wirbelstürmen. Vor allem „Der Untergang der Titanic“ zog ihn selbst mit hinab. Ein Werk, das er zur Berliner Bezirkskunstausstellung 1983 malte. „So groß, wie es sich eigentlich nur Werner Tübke oder Willi Sitte erlauben durften.“ Als Meisterschüler Bernhard Heisigs hätte Lutz Friedel nie gedacht, dass dieses Bild ausjuriert werden könnte. Doch es wurde: nach der Brandrede einer Genossin, die lieber fleißige Werktätige als ein provozierendes Untergangsbild in einer Ausstellung gesehen hätte, die von Honecker persönlich eröffnet werden sollte. „Und plötzlich war fast der gesamte Berliner Künstlerverband gegen das Bild. Solange ich in der DDR malen konnte, was ich wollte, sah ich keinen Grund zu gehen, aber wenn man nicht ausstellen kann, gleicht das einer inneren Emigration.“
Also ging Lutz Friedel in den Westen, obwohl er Jahrzehnte lang dachte, dass da drüben die falschen Typen an der Macht seien. Dort schlug ihm nun ein anderer eisiger Wind der Ignoranz entgegen. Konnte er zuvor noch im „Stern“ über sich und seine Kunst lesen, war er plötzlich Luft. „Für Galeristen waren wir nur solange interessant, wie wir in der DDR blieben. Das hatte die Exotik der Kunst aus Afrika.“ Als „Überläufer“ konnte er auf nichts mehr bauen. „Es war eine harte Zeit.“
Aber auch eine Zeit, in der er Heinrich Liman kennenlernte, den späteren Begründer des Fluxus+ Museums in Potsdam. Der Kunstsammler kauft seit damals kontinuierlich Arbeiten Lutz Friedels. Und weil dessen Werke weit entfernt von Fluxus, von Vostell oder Beuys sind, gibt es hinter dem Fluxus eben das kleine Plus, so dass auch Friedels Malerei und Holzköpfe in der Schiffbauergasse ihren Platz einnehmen können. Wenn künstlerisch auch meilenweit voneinander entfernt, sind in der Dünnhäutigkeit gegenüber gesellschaftlichen Deformierungen durchaus Berührungspunkte zwischen dem expressiven Maler und den dadaistisch auftrumpfenden Fluxus-Urgesteinen erkennbar.
Nach Westwind und Wendewirren kann Lutz Friedel heute wieder kontinuierlich arbeiten. Dabei spuken in seinem Kopf Hunderte Köpfe der Geschichte herum und verwandeln sich in großer malerischer Geste zu einem dichten „Bilderwald“ mit Licht und Schatten.
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