Kultur: Die Geschichte eines Traums
Marcus Vetter baute ein verlassenes Kino wieder auf und drehte darüber den Film „Cinema Jenin“
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„Die Gesetze in Palästina sind anders als in Europa“ heißt es in einer Szene von „Cinema Jenin“, dem deutsch-israelischen Dokumentarfilm, der am Donnerstag in der Reihe Öko-Film-Gespräch im Filmmuseum zu sehen war. Der Film zeigt die Geschichte eines Projektes, die für Marcus Vetter „Die Geschichte eines Traums“ ist.
Der Regisseur kehrte dazu in die palästinensische Stadt Jenin zurück, in der er 2008 seine preisgekrönte Dokumentation „Das Herz von Jenin“ über Ismael Khatib drehte, den Vater, der nach dem Tod seines 12-jährigen Sohnes dessen Organe israelischen Kindern spendete.
Das verlassene Kino im Zentrum von Jenin war einst eines der größten der Westbank. 1987, im Zuge der ersten Intifada, als so viele Kinos in Palästina niederbrannten oder schlossen, musste auch dieses den Betrieb einstellen. Mehr als zwei Jahrzehnte sammelte sich Staub im maroden Kinosaal, im zerfallenden Dachstuhl nisteten weiße Tauben, die in dieser Stadt ihrer Kraft als Friedenssymbole beraubt zu sein scheinen.
Der Dokumentarfilmer Marcus Vetter arbeitete zwei Jahre daran, das Kino wieder aufzubauen und zu eröffnen: zunächst mit Ismael Khatib und dem Dolmetscher Fakhri Hamad, um die sich eine kleine Gruppe Einheimischer zusammenfand, dann mit einer wachsenden Zahl von zumeist internationalen Unterstützern. „Meine Idee war es zu zeigen, dass gute Filme Menschen überall auf der Welt begeistern können, wenn sie die Chance haben, sie zu sehen“, sagt er im Film dazu. Wenn er im Filmmuseum mit Moderator Knut Elstermann, der das Projekt im Rahmen einer Israelreise besuchte, darüber spricht, ist noch immer eine große emotionale Nähe spürbar: zu denen, die mit ihm dafür gearbeitet haben, dass das Kino im April 2012 eröffnet werden konnte, zu den Menschen in Jenin.
Der Film verfolgt Schritt für Schritt die Verwirklichung des Traumes. Doch nicht alle in Jenin wollten dieses Kino: Mit den Kinobesitzern, die das Gebäude nicht für ein sozial-kulturelles Projekt in der Stadt zur Verfügung stellen, sondern möglichst gutes Geld herausschlagen wollen, sind mehrfach komplizierte Verträge auszuhandeln. Gerüchte kursieren in der Stadt, erst über das Kino-Projekt, dann über das Gästehaus des Projektes, in dem die vielen Volontäre – insgesamt arbeiteten vierhundert, zumeist junge Freiwillige vor Ort am Wiederaufbau mit – aus aller Welt untergebracht sind.
Wie gefährlich es wäre, diese zu ignorieren, zeigt die Szene, in der sich die Projektmacher vor einem von ihnen einberufenen Komitee aus Vertretern der lokaler Obrigkeit den Gerüchten stellen: „Erst gestern hat ein Frauenhaus gebrannt“, sagt da jemand warnend. Und während der Film geschnitten wird, stirbt der befreundete israelisch-palästinensische Schauspieler und Theatermacher Juliano Mer-Khamis, der von Beginn an mit dem Projekt kooperierte. Vor dem von ihm geleiteten Theater im Flüchtlingslager Jenin wird ein Attentat auf ihn verübt. „Die Leute, die hinter solchen Attentaten stecken, wollen nicht, dass Jenin oder andere Städte als Symbol der Hoffnung gelten. Sie wollen, dass Palästina keine Unterstützung erhält, um ein Staat zu werden. Deswegen gibt es Interesse, sowohl auf israelischer Seite als auch auf Palästinenserseite, so ein Hoffnungsmoment zu torpedieren“, versuchte Marcus Vetter im Gespräch die äußerst widersprüchliche, komplizierte und für Außenstehende schwer zu begreifende gesellschaftliche Kräftekonstellation in Palästina deutlicher zu machen.
Dass er es dennoch geschafft hat, das „Cinema Jenin“ zu eröffnen, von dem er hofft, dass es ein sozialer und kultureller Treffpunkt wird, an dem auch die Frage „Welchen Weg geht man in Palästina?“ offen diskutiert werden kann, ist auch den vielen internationalen Geldgebern und Unterstützern zu danken, zu denen als wohl Prominentester der Musiker Roger Waters, Gründungsmitglied von Pink Floyd, zählt. In Jenin jedenfalls hat sich mit diesem Projekt auch ein Tourismus entwickelt, der der ganzen Stadt hilft.
Gabriele Zellmann
Gabriele Zellmann
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