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Von Heidi Jäger: Die Herztür aufmachen

Das Poetenpack zeigt am 10. April und zu Ostern Taboris Farce „Mein Kampf“ im T-Werk

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Das Huhn Mizzi, die Nagelschere und auch Schlomos lange Nase fehlen. Die sind bereits im Requisitenkoffer verpackt: für ihre Reise nach Viersen am Niederrhein. Dort zeigt die umtriebige Theatergruppe Poetenpack heute Abend ihre Inszenierung von George Taboris „Mein Kampf“. In Potsdam gastiert die freie Spielgemeinde am 10. April und zu Ostern mit ihrer Neuproduktion. Am gestrigen Donnerstag machte sie mit einer szenischen Kostprobe im T–Werk schon mal die Presse auf diese Farce, die der Autor als „religiösen Schwank“ bezeichnete, neugierig.

Die Schauspieler Teo Vadersen und Clara Schoeller geben in intimer Atmosphäre eine unschuldige Zweisamkeit: Das Gretchen, „die letzte Jungfrau über vierzehn in Wien“, kommt, wie jeden Samstag, zu dem alten Schlomo, um ihn zu baden, zu wärmen und ihm die Fußnägel zu schneiden. Während er ihr Gummibärchen gibt, schenkt sie ihm eine Henne, die Mizzi. Denn Tiere sind für das feinsinnige Mädchen die besseren Menschen. Mizzi ist in der Poetenpack-Inszenierung nicht lebendig, anders als in einer Einstudierung am Berliner Ensemble, in der das Federvieh die Aufmerksamkeit des Publikums ziemlich in Beschlag nahm. „Gegen Tiere und Kinder kannst du nur verlieren“, sagt Teo Vadersen. Er sei froh, dass die Mizzi, das „Opferlamm“ der Geschichte, bei ihnen durch die Fantasie der Zuschauer lebendig werden soll. Schon so verlange das Tabori-Stück den Schauspielern eine Menge ab und sorgte bei den Proben für großen sphärischen Druck, wie Vadersen erzählt. „Für Nicht-Juden einen jüdischen Charakter zu greifen, kann nur eine Annäherung sein. Insofern spielen wir mehr ein ,Färcechen’ als eine Farce. Wir versuchten im zähen Ringen an die Wahrhaftigkeit, an das Fundament des Stückes zu kommen: im polaren Spannungsfeld zwischen Lachen und Weinen“, sagt der Schauspieler, der schon als Adam im „Zerbrochenen Krug“ beim Poetenpack zu sehen war.

In „Mein Kampf“, einem Stück von beckettscher Doppelbödigkeit, wird die Geschichte der Wandlung des Menschen Adolf Hitler in das Monster Hitler erzählt. Das 1987 geschriebene, biografisch gefärbte Werk spielt 1910 in einem Männerasyl in der Wiener Blutgasse. Der despotische, untalentierte Zeichner Adolf Hitler kommt nach Wien, um Kunst zu studieren. Er trifft auf den Juden Schlomo Herzl, einem jüdischen Buchhändler, und dessen Freund Lobkowitz, der sich für Gott hält und tatsächlich Wunder bewirkt. Herzl und Hitler freunden sich an. Der kluge Schlomo arbeitet an einem Roman, der den Arbeitstitel „Mein Kampf“ trägt. Als Hitler vom Aufnahmegremium der Wiener Kunstakademie abgelehnt wird, tröstet ihn Herzl. Hitler erfährt zum ersten Mal in seinem Leben so etwas wie Zuneigung. Herzls Fürsorge für den traurigen Mann, der nie in seinem Leben geweint hat, geht sogar so weit, dass er ihn zu einer neuen Karriere führt, mit fatalen Folgen für die Weltgeschichte.

Dem ungarischen Theatermacher Tabori (1914-2007), dessen Vater in Auschwitz starb, ist in dieser Farce das Kunststück gelungen, „den Täter und das Opfer zu versöhnen, indem sie gezeigt werden, bevor sie zu diesen werden“, ist in der Vorankündigung des Poetenpacks zu lesen. „Es geht um die Liebe in irdischer und göttlicher Dimension“, sagt Andreas Hueck. Sein tourendes Ensemble ist eigentlich auf die Komödie abonniert. Mit Tabori wagt es sich nun an ein Schwergewicht, selbst wenn es ins Groteske getrieben wird. „Was die Zuschauererwartung anbetrifft, schieben wir damit sicher eine riskantere Produktion an als bei einer Shakespeare-Komödie auf dem Klausberg, obwohl wir uns den Luxus nicht leisten können, die Besucherzahl außer Acht zu lassen“, sagte Regisseur und Theaterleiter Hueck. Ermuntert wurde er zu dieser Gratwanderung nicht nur durch die ebenfalls schwergewichtige, aber dennoch gutbesuchte „Turm“-Inszenierung am Hans Otto Theater, sondern auch durch das Land Nordrhein-Westfalen, das gerade Jüdische Kulturtage veranstaltet und das Poetenpack gern dabei haben wollte. Das hatte sich bereits im Jahr zuvor in verschiedenen kleinen NRW-Gemeinden vorgestellt. „In dem einwohnerreichsten Bundesland gibt es das wunderbare Konzept, Gastspiele zu kofinanzieren, wenn man über Land fährt“, so Hueck, dessen Poetenpack seit seiner Gründung 1999 inzwischen 17 Inszenierungen im Repertoire hat. Bei der Premiere von „Mein Kampf“ in der „Eventkirche“ in Velbert am 20. März blieben indes drei Viertel der Sitze leer. Und nun das Wagnis in Potsdam, das Stück Ostern anzubieten, wenn viele verreisen. Aber wann, wenn nicht zu diesem wichtigsten religiösen Feiertag passt ein religiöser Schwank, in dem es darum geht, wie man Leid aushält und am Ende nicht nur Mizzi Federn lässt.

Für ihren „Tabori“ holte sich das Poetenpack jüdischen Sachverstand bei Ud Joffe, dem Kantor der Erlöserkirche, in dessen Chor Andreas Hueck singt. „Ud Joffe riet uns: ,Macht es nicht so schwer’. Bei Tabori ist Schmerz ohne Scherz immer triefend.“ Andreas Hueck hatte Tabori noch selbst kennengelernt, als er bei den Salzburger Festspielen hospitierte. „Seine ruhige verschmitzte Art war schon etwas Besonderes. Er war ein echter Schlawiner.“ Nun aber den großen Theatermann selbst auf die Bühne bringen? „Es ist erst einmal eine Annäherung, den jüdischen Charakter zu greifen“, so der Regisseur. Sein Schlomo–Darsteller Teo Vadersen sieht es ähnlich. „Ich möchte eher den schlichten Weg gehen und die Herztür der Rollen aufmachen. Für mich ist der gedankliche Vollzug wichtig und dass ich in einer Sprache mit den Figuren fühle. Das Jüdische extra zu bedienen, hat es nicht gebraucht.“

Das groteske Treiben haben die Theatermacher mit viel Musik rhythmisiert. Da singt der Schlomo „Wochenend und Sonnenschein“, um Hitler zu wecken und „Frau Tod“ tanzt bei einem Tango zu „Sterben ist schön“. Man darf also gespannt sein auf diesen „Zirkus“, in dem der Menschenfreund Schlomo den Provinzler Hitler mit Hühnersuppe aufpäppelt und ihm zeigt, wie man einen anständigen Bart schneidet.

Karten für die Potsdam-Premiere am 10. April um 20 Uhr im T-Werk unter

www. poetenpack.net

Tickets kosten 16, ermäßigt 12, für Schüler 9 Euro. Weitere Aufführungen im T-Werk vom 22. bis 24. April, jeweils 20 Uhr. Reservierungen unter Tel.: (0331) 95 122 43

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