Kultur: Die Jagd geht weiter: aber konzentrierter
Die Programmmacherin des Filmmuseums, Dorett Molitor, wird ab 1. März Leiterin des Archivs in der Pappelallee
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„Ich möchte meine Leute nicht verheizen“, sagt Bärbel Dalichow, die Direktorin des Filmmuseums. Mit diesen Worten begründet sie ihre Entscheidung, der bisherigen Programmmacherin Dorett Molitor ab 1. März die Leitung des Filmmuseums-Archivs zu übertragen. Obwohl auch dieser neue Arbeitsplatz sicher kein Ruhekissen ist, lässt er wohl mehr Verschnaufpausen zu – was sich Dorett Molitor im Moment bei ihrem Leben im Dauerlauf noch gar nicht vorstellen kann. Ihre Euphorie hält sich in Grenzen, wenn sie an den bevorstehenden Wechsel in die Pappelallee denkt. Es sei so etwas wie ein Phantomschmerz, der sich ihrer bemächtigt hat und gegen den sie derzeit kämpft. Kein Wunder, wenn man fast 18 Jahre lang rastlos wirbelte und voll in seinem Job aufging. „Man steht früh mit dem Gedanken an Kino auf und geht abends mit Kino ins Bett.“ Und auch am Wochenende liest sie sich durch Fachzeitschriften oder sichtet im „Heimkino“ Filme auf Filmmuseums-Tauglichkeit. „Man muss eben von allem eine Ahnung haben. Die Momente, in denen man mal heraustreten und draufgucken kann, sind eher selten.“
Noch heute ist sie aufgeregt, wenn sie eine Veranstaltung ausrichtet. „Jede liegt mir am Herzen, und wenn die Leute nach Hause gehen, sollen sie ein gutes Gefühl haben“, betont sie. Und ihre Chefin fügt hinzu: „Dorett ist besonders preußisch, am liebsten organisiert sie alles selber, so dass es dann auch wirklich klappt. Das geht bis zum Wasserglas für den Gast und die Blumen.“ Denn an dieser Geste wird bis heute festgehalten, auch wenn der Etat noch so eng bemessen ist. „Es soll alles seinen Stil haben,“
Bis zu 1000 Termine stehen dem Filmmuseum jährlich ins Haus: „Von Caligari bis Bollywood, von Albert Speer bis zur Mohrrübe“. Letztere bei einer Ausstellung zum Buga-Jahr. Eines ihrer Lieblingsprojekte galt indes dem großen Magier des Tanztheaters, Carlos Saura. „Ich war wie im Rausch, sah mir am Tag drei bis vier Filme von ihm an.“ Doch bei allem persönlichen Enthusiasmus: „Von selber laufen nur Veranstaltungen, bei denen Stars auftreten oder die Eventcharakter tragen: wo auch noch getanzt, gesungen, gelesen wird – eben Crossover stattfindet. Diese Tendenz kann man beklagen, aber sie ändert sich dadurch nicht. Wir müssen auf aktuelle Veränderungen reagieren.“ Auch auf politische – was das Filmmuseum im vergangenen Jahr beispielsweise mit seiner Libanon-Reihe tat und mit Reihen zu Afghanistan und dem Iran fortsetzen wird.
Dorett Molitor fühlt sich mitunter wie ein überdimensioniertes Filtertierchen, das aus der Fülle der Themen aussucht, was inhaltlich und besuchermäßig funktioniert. Und dabei möchte sie keineswegs von ihrem hohen cineastischen und kulturpolitischen Anspruch abrücken. „Schließlich sind wir ein subventionierter Betrieb und haben damit einen öffentlichen Auftrag.“ Dennoch rennt sie dem flatterhaften Zeitgeist ständig hinterher.
Sich von dem extrem kräftezehrenden Job zu verabschieden, sei vor allem ein gefühlsmäßiger Prozess. „Ich musste ihr diesen Gedanken langsam antragen“, betont Bärbel Dalichow. Doch als Elke Schieber im vergangenen Sommer aus ihrem Amt als Archiv-Leiterin verabschiedet wurde, musste Bärbel Dalichow zweigleisig fahren. Durch die Neubesetzung mit Dorett Molitor kann sie also sich selbst und zugleich ihre Kollegin entlasten.
Zudem finde auf der Strecke der Programmgestaltung nun eine Verjüngung statt. Dorett Molitors Nachfolger Sachiko Schmidt stehe erst am Beginn seiner Familienplanung und Potsdamer Laufbahn. „Er wird andere Energien und ein anderes Temperament einbringen“, sagt Bärbel Dalichow. Sie begreife ihr Haus wie einen Organismus, in dem sich die Zellen erneuern müssen. „Junge Leute haben wieder einen anderen Blick auf Filme.“
Für Dorett Molitor bedeutet dies, dass sie nun, Mitte 40, einen Job annimmt, der mehr Kontinuität und Vertiefung bietet. „Ich muss jetzt nicht mehr 100 000 Filme auf dem Sender haben, sondern kann mich auf 3 500 Filme aus Ufa- und DEFA-Zeit konzentrieren.“ Zudem gelte es, die Nähe zu den Menschen hinter den Filmen zu pflegen, die vielleicht dem Archiv ihr Lebenswerk in die Hand geben. Und dabei ist größtes Feingefühl gefragt.
„Auf jeden Fall bringe ich die Liebe zum Gegenstand mit. Ich bin als Archivarin geboren, auch wenn ich es nicht studiert habe.“ Ihre Ordnungsliebe kam ihr auch bei der bisherigen Tätigkeit zugute, in der sie sich bereits ein eigenes großes Archiv zugelegt hat.
Bei allem Schmerz, etwas Geliebtes, wenn auch Anstrengendes zurück zu lassen – fürchtet sie sich keineswegs vor der neuen Aufgabe. „Ich gehe ja in keinen Keller, aus dem ich nicht mehr heraus komme. Gern fühle ich die Sachen an, die einst Weltstars wie Jenny Jugo oder Ilse Werner trugen. Und wenn ich etwas Neues ergattern kann, schütte ich geradezu Glückshormone aus. Der Jagdtrieb ist bei mir durchaus ausgebildet.“
Man darf also gespannt sein auf die Beute, die nun durch Dorett Molitor in die „Ewigen Jagdgründe“ des Archivs eingehen. Mit den schönsten Trophäen kehrt sie dann sicher wieder ins „Mutterhaus“ zurück: für die Foyerausstellungen als Schaufenster der „Beutekunst“.
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