Kultur: Die kalte Hand des Jazz
Zwei Kräfte, die in unterschiedliche Richtungen streben: Tok Tok Tok im Nikolaisaal
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Zwei Seelen wohnten am Samstag, ach, in der Brust des bis auf den letzten Stehplatz ausverkauften Nikolaisaals. Tok Tok Tok, die für die Reihe „The Voice“ des RBB Kulturradios im Foyer auf der Bühne standen, vereinen das Feuer des Soul mit der Kälte des Jazz. Allgemein kommt diese Ambivalenz gut an. In Frankreich wären ihre Songs Hits, in der Ukraine gehöre Tok Tok Tok zu den Jazzstars, heißt es im Programm. Und weil der Mensch auch eine linke und eine rechte Hand besitzt, werden im Nikolaisaal beide vom Publikum in schnellem Takt frenetisch zusammengeführt.
Doppelpolig ist auch die Band ausgerichtet, die vor neun Jahren in Hannover startete. Die schwarze Sängerin Tokunbo Akinro steht für die Wärme und den Schmelz, den ihre Stimme aussendet, Morten Kleins Tenorsaxophon für die technische Brillanz, die dieser Stimme eine Behausung schafft.
Jazz und Soul, zwei Kräfte, die in unterschiedliche Richtungen streben. Der Jazz wohnt an Clubtischchen, so wie sie hier zwischen den Stühlen aufgebaut sind. Oder sitzt entspannt auf Barschemeln, so wie Bassist Christian Flohr, der selbst beim eigenen furiosen Slapsolo relaxed am Verstärker lehnte.
Der Jazz ist der Intellektuelle, der die Traditionen kennt. In denen versteht sich auch Tok Tok Tok, die auf ihrem siebten Album „From Soul to Soul“ ihren musikalischen Helden jeweils ein Lied gewidmet haben. Keine Coversongs, sondern eigenhändig von Morten Klein komponierte und von Tokunbo Akinro getextete Stücke. Ray Charles und Herbie Hancock auf der Jazzseite, James Brown, Tower of Power und Earth, Wind and Fire auf der Soulseite.
Der Soul gerade dieser drei Vertreter jedoch ist Dampframmensound. Kann man sich James Brown auf der Bühne vorstellen, wie er ein zwei Stunden langes Konzert wie ein hospitalisiertes Zootier im Takt von einem Fuß auf den anderen wippt? Doch Tokunbo Akinro bewegt sich, als sei sie im kühlen Arbeitsgeschirr des Jazz eingespannt.
Ist Soul ursprünglich von Trieben gesteuerte Unterleibsmusik, so muss dieses Gefühl bei Tok Tok Tok in den oberen Körperteil gerutscht sein. Mit Auswirkungen auf das Tempo. Die Begleitband aus Bass, Keyboards (Jens Gebel) und Schlagzeug (Matthias Meusel) wählt nahezu ausschließlich das Allegro, ein Presto findet sich nie. Dafür nimmt man sich jazzige Zeit, um reihum in Soli zu brillieren. Drummer Meusel, der jazzgemäß weitgehend auf den Becken klöppelte, kann hier auch mal das Soulbiest entfesseln. Das Publikum, oft in der vom Soul gewohnten Mitklatschstimmung, verzagte mitunter. Denn es ist schwer, das Niveau an Begeisterung durch ein minutenlanges Pianosolo zu halten.
Selten, dass Morten Klein sein Saxophon so durchpustet, dass sich sein Kopf rötet. Ihm geht es da wie Tokunbo Akinro. Immer schön gemäßigt bleiben. Keine Mark durchdringenden Töne in der Höhe, aber auch keine Rekordversuche im unteren Bereich der Frequenzen. Einzig Bassist Flohr bringt in einer wunderbar leisen Phase des Konzerts das Geschirr auf den Clubtischen zum Vibrieren.
Dabei ist das Organ von Tokunbo Akinro mit jenem heiseren Attribut gesegnet, das sich unter die Haut des Zuhörers schieben kann. Aber seltsam, Akinro lebt da wohl in Entsagung. Ihre Phrasierung begnügt sich mit der Betonung der ersten Silbe, als ob die Energie für mehr nicht reiche.
Zwei Seelen, ach, aber vielleicht muss man das Publikumsphänomen ganz anders betrachten. Da wird der kalten, alten Hand des Jazz die warme und fleischige des Soul gereicht. Die Improvisationen eines hochtalentierten (und blinden) Jens Gebel am Fender Rhodes, verantwortlich für den 70er Touch, werden umarmt und können vor großem Auditorium genossen werden.
So gesehen müssen die Stücke von Tok Tok Tok als Einladung an Jazzpuristen verstanden werden, die verruchte, weil so gefühlsschwangere Welt des Souls zu betreten, ohne sich der Gefahr auszusetzen, sich von den vom Soul entfachten Emotionen davon tragen lassen zu müssen.
Matthias Hassenpflug
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