Kultur: Die Katastrophe Mensch
David Vann stellt am morgigen Mittwoch seine Novelle „Im Schatten des Vaters“ im Waschhaus vor
Stand:
Mit der Katastrophe rechnen wir. Müssen wir rechnen. Das ist schon nach den ersten Seiten von „Im Schatten des Vaters“ klar. Vielleicht wird es nur ein Scheitern an den Verhältnissen da draußen auf der kleinen Insel Sukkwan in Südostalaska sein. Oder der endgültige Bruch zwischen Vater und Sohn. Vielleicht auch mehr. Was dann aber auf Seite 106 passiert, wirft uns aus der Bahn. Mit aller Wucht des Unvorhersehbaren.
„Im Schatten des Vaters“ ist die erste deutsche Veröffentlichung des amerikanischen Schriftstellers David Vann. Als Roman hat der Berliner Suhrkamp das 200 Seiten starke Buch betitelt. Ein Etikettenschwindel, der dem Leser spätestens auf Seite 106 bewusst wird. Denn was Vann hier in der deutschen Übersetzung in drei lakonischen Sätzen geschehen lässt, ist das für die Novelle so typische „ungewöhnliche Ereignis“. Im Original, wo „Sukkwan Island“ in dem Erzählband „Legend of a Suicide“ erschienen ist, wird diese Vater-Sohn-Geschichte als Novelle bezeichnet, nur im Deutschen wird sie uns nun als Roman verkauft.
Am morgigen Mittwoch ist David Vann zu Gast im Waschhaus, um „Im Schatten des Vaters“ vorzustellen. Potsdam ist nach Heidelberg die einzige weitere Station auf seiner Kurzreise durch Deutschland. Die deutsche Übersetzung wird Christian Brückner lesen, der neben seiner Synchronstimme für Robert De Niro in den vergangenen Jahren vor allem durch die Veröffentlichungen in seinem Hörbuchverlag „Parlando“ für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Moderieren wird den Abend die Literaturkritikerin Sigrid Löffler, langjähriges Mitglied im „Literarischen Quartett“ um Marcel Reich-Ranicki und bis 2008 Herausgeberin der Zeitschrift „Literaturen“.
Es ist ein Traum von vielen, den David Vann in „Im Schatten des Vaters“ schon nach wenigen Seiten in einen Albtraum kippen lässt. Jim Fenn hat sich auf der Insel Sukkwan eine verlassene Holzhütte gekauft und will mit seinem 13-jährigen Sohn Roy ein Jahr in dieser menschenleeren Wildnis verbringen. Nur Vater und Sohn, allein auf sich gestellt, ein natürliches Leben und Überleben. Doch: „Sie kannten diesen Ort nicht, diese Lebensweise, einander“, schreibt Vann schon auf der zweiten Seite.
Roys Eltern sind getrennt. Er lebt mit seiner jüngeren Schwester Tracy bei seiner Mutter in Santa Rosa, Kalifornien, „mit Posaunenunterricht und Fußball und Kino und der Schule direkt in der Stadt“. Sein Vater Jim hat in Fairbanks, im US-Bundesstaat Alaska, als Zahnarzt gearbeitet, bevor er alles verkaufte, um dieses eine Jahr auf Sukkwan Island verbringen zu können. Ein Jahr, das als Neuanfang dienen, das Vater und Sohn wieder näherbringen sollte. Und das nach wenigen Wochen schon in einer Katastrophe endet.
Jim ist ein Gescheiterter. Im Beruf, in seinen Beziehungen, in seiner Familie. Die Auszeit auf Sukkwan Island gleicht einer Flucht, von der er sich Abstand und vielleicht auch Klärung verspricht. Dieses Vater-Sohn-Abenteuer, für das er Roy gewinnen konnte, dient dabei nur als Vorwand. Die Vorbereitungen für ihre Zeit in der Wildnis sind katastrophal, das erkennt Roy schon am Tag ihrer Ankunft. Und als er in der ersten Nacht in der „kleinen spitzdachigen Finnhütte aus Zedernholz“ seinen Vater weinen hört, ist da schon ein Grad an Ausgeliefertsein erreicht, der nur schwer zu ertragen ist. Ein Ausgeliefertsein, das sich immer mehr zuspitzt und den 13-jährigen Roy bald überfordern muss.
David Vann erzählt diese so hoffnungslose Situation im ersten Teil von „Im Schatten des Vaters“ aus der Perspektive von Roy. Ein Jugendlicher, dem der eigene Vater fremd ist und der trotzdem versucht, ihm gerecht zu werden. Der brutal zu Entscheidungen gezwungen wird, die ihn einfach überfordern müssen. Und der Situationen ausgesetzt wird, die ihm brutal seine Hilflosigkeit vor Augen führen. Die Ich-Bezogenheit seines depressiven Vaters verschlimmert das alles nur noch mehr.
Der zweite Teil, der aus der Perspektive von Jim erzählt wird, zeigt nur umso deutlicher, wie katastrophal hilflos dieser Mann dem Leben ausgesetzt ist. In einer Situation, in der Roy seinen Vater gebraucht hätte, zeigt sich umso deutlicher, dass Jim hier derjenige ist, der am dringendsten Hilfe braucht. So erzählt Vann vor der gleichgültigen Kulisse der scheinbaren Idylle Natur von einer Verlassenheit, die an die Nieren geht. Eine Verlassenheit, durch menschliche Verlorenheit bedingt, die auf Sukkwan Island nur noch deutlicher und gnadenloser spürbar wird. Gleichzeitig ist „Im Schatten des Vaters“ aber auch eine Geschichte über die Liebe und das Überfordertsein an ihr. Sohn und Vater finden auch deshalb nicht zueinander, weil ihnen lange Zeit die Sprache und die Gesten fehlen, um auszudrücken, was sie füreinander empfinden. Etwas Selbstverständliches, das hier ums nackte Überleben kämpft. Und darin zeigt sich David Vanns Kunst, dass es der 13-jährige Roy ist, der hier einen Schritt macht, der in seiner Konsequenz den Leser schockiert wie erschüttert zurück lässt. Als Jim endlich erkennt, dass die Liebe seines Sohnes das größte Geschenk für ihn hätte sein können und dass er nur diese Liebe hätte erkennen und akzeptieren müssen, ist es längst auch für ihn zu spät.
David Vann hat mit „Im Schatten des Vaters“ eine Novelle geschrieben, die in ihrer schlichten Sprache fast harmlos daherkommt, den Leser aber dann mit einer Wucht trifft, die ihn über viele Seiten trägt und sich noch steigert. Vann, der auf Adak Island in Alaska geboren wurde und mit „Legend of a Suicide“ den Selbstmord seines Vaters thematisiert hat, legt hier etwas vor, das die Verlorenheit und Hilflosigkeit, die Orientierungslosigkeit und Unfähigkeit des Menschen, Liebe zu erkennen, auszudrücken und selbst zu geben auf so prägnante und erschütternde Art und Weise zu erzählen versteht, wie man es schon lange nicht mehr gelesen hat. Ein zeitloses menschliches Versagen an seinen Mitmenschen und sich selbst. Die Unvollkommenheit des Tieres Mensch, die in ihrer subtilen Brutalität unübertroffen ist. Eine dieser Katastrophen, die millionenfach in unterschiedlichsten Ausprägungen unseren Alltag begleitet haben. Und auch in Zukunft begleiten werden.
David Vann stellt am morgigen Mittwoch, 20 Uhr, im Waschhaus in der Schiffbauergasse sein Buch „Im Schatten des Vaters“ vor. Die deutsche Lesung übernimmt Christian Brückner, die Moderation Sigrid Löffler. Der Eintritt kostet 10, ermäßigt 8 Euro. Kartenreservierungen unter Tel.: (0331) 27 15 60. „Im Schatten des Vaters“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen und kostet 17,90 Euro
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: