Von Lena Schneider: Die Krätze, die uns juckt
Erfolgreiche Premiere am Hans Otto Theater: Jean-Paul Sartres Stück „Die Fliegen“
Stand:
Jean-Paul Sartres „Fliegen“ machen es dem Zuschauer nicht unbedingt leicht. Gerade, weil das Stück so klar zeigt, was es von uns will. Geschrieben zur Zeit der deutschen Besatzung, uraufgeführt 1943 im okkupierten Paris, ist es ein unverhohlener Appell an die Menschen, in Zeiten, da sich die Götter verzogen oder als falsch erwiesen haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Nicht aus edlem Heroismus, sondern einfach, weil wo Gott tot ist, dem Menschen nur er selbst bleibt. Dass das nicht viel ist und zugleich alles, was wir haben, darum geht es Sartre. Dass daher eine manchmal nur schwer zu tragende Verantwortung rührt, darum geht es ihm auch.
Freiheit ist eine Verbannung, heißt es in den „Fliegen“ einmal. Ist der Mensch erst einmal da, nimmt ihm das keiner mehr ab. Der den Satz von der Verbannung sagt, ist kein anderer als Jupiter, Göttervater und zugleich Gott der Reue. In den „Fliegen“ ist er höchstselbst vom Olymp hinabgestiegen, um sich von der Stadt Argos am Tag der Toten feiern zu lassen. Seit Klytämnestra und Ägist hier vor 15 Jahren König Agamemnon nach seiner Heimkehr aus Troja ermordeten, suhlt sich die Stadt in Reue und Selbstgeißelung. Allen voran Klytämnestra, die von den Jahren der Schuld ausgemergelte, außen wie innen zu Stein gewordene Frau Agamemnons, die ihren Mann tötete, weil der einst ihre Tochter Iphigenie geopfert hatte.
Rita Feldmeiers erster Auftritt als von Leid und Hass verhärmte, nur von Make-up und Kostüm zusammengehaltene Klytämnestra , ist einer der eindrücklichsten des Abends, vielleicht gar der Spielzeit überhaupt: eine Mumie des toten Gefühls, deren versteinertes Äußeres ahnen lässt, was drinnen vor sich ging, bevor da noch nicht grausiges Nichts war. Was für die Menschen Leid, ist für die Gottheit Genugtuung, Bestätigung ihrer Macht. Mit Peter Wagner ist Jupiter nicht der alte zottelbärtige Tyrann von antiken Statuen (die Maske davon trägt er unterm Arm), sondern ein platinblonder Jüngling, der kühl und spielerisch betrachtet, was seine Schäflein so umtreibt. Dass er nicht böse, nicht autoritär daherkommt, sondern sympathisch selbstverständlich ist ein gelungener Versuch der Regie, gegen die manches Mal arg lehrbuchartigen Figuren Sartres anzugehen. Ähnlich mit Orest (Alexander Weichbrodt). Er, der Sohn des Ermordeten und Bruder der zurückgelassenen Elektra, ist bei Sartre Fackelträger des Freiheitsgedanken. Erstmals kehrt er in seine Geburtsstadt, zurück – als „Bildungsreisender“, begleitet von einem Gelehrten (Harald Arnold), der ihn im Geist der Vernunft, des „heiteren Skeptizismus“ erzogen hat. Anders als die Bewohner Argos kennt er weder Schuld noch Reue; gegen das christliche Prinzip der Selbstgeißelung setzt er Eigenverantwortung. Die er sich freilich erst erabeiten muss: Um Teil der blutigen Geschichte – und somit auch schuldig – zu werden, muss der „Bildungsreisende“, der Anzug- und Brillenträger, der zu Beginn arg arglos ins Publikum starrt, seine Mutter und ihren neuen Gatten (Matthias Hörnke) ermorden.
Anders als Elektra (erst stolz, dann berührend von der eigenen Schwäche eingeholt: Jenny Weichert), die sich vom Schuldgedanken nicht lösen kann, bettelt Orest bei den Göttern nicht um Vergebung für seine Tat sondern wählt bewusst seine Einsamkeit. Bei Sartre verlässt er am Ende, von den Erinnyen verfolgt aber doch über die wütende Menge triumphierend, die Stadt. In der Inszenierung von Johanna Hasse sind die Rachegöttinnen, zurecht aus dem Text verschwunden. Dass man sie nicht sehen muss, um den Schmerz Elektras und die Ruhelosigkeit Orests zu spüren, zeigt, was Jenny Weichert und Alexander Weichbrodt hier schaffen: dem Gedankenspiel Sartres, immer nahe am Parabelhaften, pulsierendes Leben zu geben. Die Schatten der Erinnyen, die „Fliegen“, rauschen mal als surrendes Geräusch, mal in der hektischen Geste derer, die sie loswerden wollen durch die Inszenierung. Dass sie auch noch auf Vorhang und Tapete des Palasts zu finden sind, ist schade, zumal in einer klaren Inszenierung, die sonst – und größtenteils erfolgreich – versucht, allzu klare Zeichen zu umschiffen.
Orest bleibt am Ende allein zurück, gefangen in den Satzschlaufen seiner Überzeugungen: „Das ist meine Tat und sie war gut. Ich bin frei“. „Freiheit ist nur eine Krätze, die dich juckt“, hatte Jupiter ihm zuvor gesagt. Das stimmt natürlich nur halb. Freiheit ist keine Krankheit. Aber das Schlussbild mit dem verlorenen, verstörten Orest zeigt auf bestürzende Weise, wo sie wehtun kann.
Nächste Vorstellung in der Reihalle A: 20. Dezember, 19.30 Uhr
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