Von Heidi Jäger: Die Kreativität blieb unberührt
Begehbare Biografie: Eine Ausstellung über Roman Polanski ab heute Abend im Filmmuseum
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Der Weg in die Ausstellung führt durch ein Nadelöhr. Hohe dunkle Wände sind eng aneinandergestellt. Durch einen schmalen Schlitz sieht der Besucher in die bunte Welt der Revue. Frauenbeine wirbeln durch die Luft. Dieser versteckte Filmausschnitt erinnert an die Kinderzeit von Roman Polanski, die er im Krakauer Ghetto verbrachte. Von einem bestimmten Punkt aus konnte der Junge durch die Mauer auf einen Platz an der Kirche schauen, dort wo die Deutschen auf einer großen Leinwand regelmäßig ihre Ufa-Schinken zeigten. Eine Schauspielerin hatte es Roman Polanski besonders angetan: „Eine statuenhafte Blondine namens Marika Rökk. In meinen Tagträumen stellte ich mir vor, wie ich sie dereinst heiraten würde.“
Es traten jedoch andere Frauen in sein Leben, oft mit fatalen Folgen, wie es die heute Abend im Filmmuseum beginnende Ausstellung „Roman Polanski – Regisseur und Schauspieler“ facettenreich spiegelt. Die aus dem Düsseldorfer Filmmuseum übernommene Schau, die in ihrem Aussehen vom Potsdamer Filmmuseum völlig neu kreiert wurde, zieht hinein in eine Welt der Abgründe und Verwerfungen, des Scheins und Seins. Sie zeigt einen Mann, dem das Leben oft böse mitspielte, der sich aber immer wieder nach oben kämpfte. Und der auch selbst Schatten warf. Eine hoch aufragende Treppe erinnert nicht nur an die Filmhochschule in Lodz, in der die Studenten den neuen polnischen Film kreierten. Sie scheint auch den mühevollen Aufstieg Roman Polanskis in der Filmwelt zu symbolisieren, mit ständigem Blick in die Tiefen.
Die erste wichtige Frau seines Lebens verlor er, als er zehn Jahre war: Seine schwangere Mutter, die in Auschwitz ermordet wurde. Er selbst konnte durch ein Loch in der Ghettomauer fliehen, doch die Bilder, wie eine alte Frau von einem deutschen Soldaten in den Rücken geschossen wurde und überall Blut spritzte, nahm er mit. Dennoch sagte Polanski später: „Ich bin mir absolut sicher, dass diese Erfahrungen einem Kind sehr wenig schaden, was dessen Kreativität anbetrifft. Vielleicht beeinflussen sie das Leben, den Charakter und die Persönlichkeit, aber die Kreativität bleibt davon unberührt“. Es ist eines von vielen Zitaten, mit der die Ausstellung gespickt ist, die sich vor dem Besucher wie eine begehbare drehbuchreife Biografie aufblättert. Polanskis Persönlichkeit wird in seinen oftmals klaustrophobisch angelegten Filme deutlich spürbar.
Als der jüdische Junge aus seinem Versteck bei Verwandten, wo er sich in einer Scheune verkroch und sich nur von Blumen mit Milch ernährte, nach Krakau zurückkehrte, war er voller krimineller Energie. „Er handelte auf dem Schwarzmarkt und prügelte sich bei jeder Gelegenheit“, wie der Kurator Matthias Knop beim gestrigen Presserundgang erzählt. Sein aus dem Konzentrationslager heimgekehrter Vater bezahlte dem Halbwüchsigen lieber eine eigene Wohnung, als ihn mit zu sich und seiner neuen Frau zu nehmen.
Ein Freund brachte den „James Dean von Krakau“, wie Polanski aufgrund seines extravaganten Aussehens mit Sonnenbrille, spitzen Schuhen und Cordjacke genannt wurde, zum Film, wo er kleine Rollen übernehmen konnte, sich anfangs auch tüchtig blamierte, als er polternd die Kulissen umriss und sich bei der Hauptdarstellerin unterm Rock verkroch. Einem geregelten Tageswerk ging er erstmals mit 22 Jahren nach, als er „etwas wild, aber mit Talent“ seine Zähne in das Studium von Regie, Schauspiel, Schnitt und Kamera vergrub. Den theoretischen Abschluss an der Filmhochschule Lodz verweigerte er: Polanski wollte sich nicht aufoktroyieren lassen, was er zu sagen hätte. Für seinen Abschlussfilm „Das Messer im Wasser“ über spießige Kleinbürger, der Kultstatus erlangte, hagelte es von offizieller Seite harsche Kritik . Polanski zog es in die westliche Welt, nach Paris, London und schließlich drang nach „Ekel“ oder „Tanz der Vampire“ sein Ruf als innovativer Filmemacher bis nach Hollywood. Dort drehte er „Rosemaries Baby“, seinen ersten Kassenerfolg: Ein Film über den Satanismus, der ihm von Kirchenkreisen massive Kritik einbrachte, die ihn sogar selbst des Satanismus beschuldigten. Bittere Ironie des Schicksals: seine schwangere Frau wurde ein Jahr später von einer dem Satanismus nahe stehenden Sekte ermordet. Auf einer der Litfaßsäulen, die in der Ausstellung die rot-lila Filmwelt-Aufsteller flankieren, sind immer wieder Zeitungsausschnitte über das Privatleben und die Arbeit des Regisseurs zu lesen, der den Ruf hat, sehr schwierig zu sein, sowohl im Umgang mit Produzenten, als auch mit Schauspielern. Mit Faye Dunaway legte er sich an, weil ein Haar von ihr abstand, das ihn störte. Er riss es einfach raus. Danach war zehn Tage Drehpause.
Neben diesen eher unterhaltsamen „Anekdoten“ ist auch sein wohl schwerwiegendster Fehler nicht ausgespart, als er für die Modezeitung „Vogue“ fotografierte und versuchte, ein 13-jähriges Model zu vergewaltigen. Die Eltern des Mädchens nahmen zwar den Vorwurf zurück, aber es blieb bei der Anklage auf sexuellem Missbrauch. Einen Tag vor der Verhandlung floh Polanski aus den USA. Die Dokumentation „Roman Polanski: Wanted and Desired“ von 2008 ist in die Ausstellung integriert: „Sie ist gut recherchiert und schildert den Fall recht objektiv, auch die Mechanismen der amerikanischen Justiz gegenüber Prominenten“, sagt der Kurator.
Die Ausstellung ist mit ihren 23 Filmausschnitten ein Parcour durch die Tops und Flops des Meisters. Und zwischen den Vitrinen mit Drehbüchern und Storyboards, den Kostümen und zwei Modellen der in Babelsberg entstandenen Filme „Der Pianist“ und „Ghostwriter“ aus dem Filmmuseumsarchiv gibt es immer wieder irritierende Merkwürdigkeiten: Da baumelt ein Strick mit Schlaufe von der Decke, steht eine kleine Freiheitsstatue oder ein Becher Joghurt neben den Monitoren. Auch ein Hase aus dem Naturkundemuseum Potsdam findet unter Plakaten Platz. Ein assoziatives Spiel mit Film-„Zitaten“, die sich wohl nur eingeweihten Besuchern erschließen. Bei dem Hasen sorgt die Potsdamer Kuratorin Ugla Gräf für Aufklärung: „Eine plastische Erinnerung an das verfaulte Essen im Ghetto, die auch in Polanskis Filmen immer wiederkehrt“.
Der 77-jährige Regisseur, nunmehr in dritter Ehe und Vater von zwei Kindern, befindet sich heute wieder in einer gewissen Isolation, in die er sich durch seine frühe Schuld selbst mit hinein manövrierte. In dem vor einer Ausweisung sicheren Paris verfilmt er derzeit das Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza mit Christoph Waltz, Kate Winslet, Jodie Foster und Matt Dillon. Ob er irgendwann wieder die Welt als freier Mann bereisen kann und auch nach Babelsberg zurückkehrt? Es gab schon viele Wendungen im Leben dieses Stehaufmännchens, der immer wieder von sich Reden macht. Im besten Fall mit tollen Filmen, die nun begleitend zur Ausstellung im Filmmuseum zu sehen sind.
Ab heute 19. 30 Uhr im Filmmuseum
Das Video stellte uns freundlicherweise PotsdamTV zur Verfügung.
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