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Kultur: Die Kunst des Wie

Zum Abschied ihrer Professorin Betina Müller zeigen FH-Studenten in der Galerie Sperl, dass Typografie weit mehr als hübsche Buchstaben bedeutet

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Wenn jemand ein Typ ist, hinterlässt er einen bleibenden Eindruck. Einen Abdruck. Eine Wirkung. Auch Buchstaben – bewegliche Typen – tun das. Vermitteln eine Information und, wenn es richtig gut läuft, noch mehr als das – die passende Konnotation oder ein Gefühl, das der bloßen Information mehr Gewicht verleiht. Typografie heißt die Lehre von Handwerk und Kunst, die hier zusammenfließen. Genau das unterrichtet auch Betina Müller, Professorin für Typografie, seit 24 Jahren auch an der Potsdamer Fachhochschule. Nun geht die Dozentin – für manche ihrer Kollegen und Studenten überraschend und viel zu früh – in den Ruhestand. Wie ein wunderbares Abschiedsgeschenk mutet deshalb die Ausstellung an, die aus diesem Anlass derzeit in der Sperl Galerie zu sehen ist: „24pt potsdamer typolehre“.

Eingeweihte wissen: Der Name der Ausstellung hat eine doppelte Bedeutung. 24 pt steht gewöhnlich für eine Schriftgröße. Nur hier eben auch für 24 Jahre Lehre und Forschung. Und so wie der Name nicht eindimensional zu lesen ist, ist auch die Ausstellung, eine Werkschau studentischer Arbeiten, ein vielschichtiges Vergnügen, ein Appell an die Sinne. Nichts ist nur das, was es scheint. Manch kompliziert anmutender Kontext löst sich in einer einfachen Botschaft auf, anderswo kann man sich in Arbeiten einer gewissen nüchternen Sachlichkeit endlos verlieren. Für den Anfänger in Sachen Typografie ist vor allem die Fülle eine Überraschung. In allen Medien, die einem tagtäglich begegnen, scheint diese Wissenschaft zu stecken. Ob uns ein Buch, ein Plakat, Werbung oder eine simple Postkarte ansprechen und warum – darüber beginnt man hier nachzudenken. Farbe, Form Größe, Gestalt, Material und selbst Ton sind Bauteile und Variable in einem Sinnespuzzle. Dessen Auftrag lautet: Wie kann ich etwas sagen? Wie kann ich Form und Inhalt verbinden?

Während sich die Insider, also Typografiekundigen, oft als „Teilhaber einer geheimen Wissenschaft inmitten einer ungläubigen Gemeinde“ fühlten, so eine ehemalige Betina-Müller-Studentin in ihrer Laudatio, haben doch gerade jene „ungläubigen Gemeindemitglieder“ viel Spaß in dieser Ausstellung. Alles hier schreit danach, entdeckt zu werden, man darf Bücher aufklappen und lesen, Tonaufnahmen parallel mithören, Pappen und Papier, Holzeinbände oder Textiles, Oberflächen und Strukturen mit den Händen erfühlen, die Augen mit fremden Formaten und ungewohnten Formen kitzeln. Oder sich Arbeiten von einer verschwenderischen, nüchternen Sachlichkeit stellen, Anspannung oder Ruhe in der Weite eines fast leeren Blattes Papier finden.

Andere Arbeiten sind eher praktischer, gebrauchsfertiger Art, beispielsweise grafisch gestaltete „Havelblüten“ – die Potsdamer Regionalwährung – Scheine, die aussehen wie irgendetwas zwischen Spielgeld und kunstvollen Sammelbildchen. Außerdem zu sehen: Bücher, Schreibutensilien und Spielzeug wie Buchstabenmemory, daneben künstlerische Exponate, die mit den Erwartungen des Betrachters spielen.

Die das Lesen und Sehen zur Lust werden lassen und Bilder aus dem eigenen Gedächtnis abrufen und durcheinanderwirbeln. Die Lautsprecherdurchsage im Regionalexpress – „Wir erreichen jetzt den Bahnhof Berlin-Alexanderplatz“ – hat man schon oft gehört. Gelesen aus Buchstaben, die wie in Plastikscheiben geritztes, gekratztes Graffiti aussehen, bekommt der Satz eine ganz andere Wirkung. Plötzlich sieht man Glasscherben und Bierflaschen auf dem schmuddeligen Alex, die Schnorrer mit ihren Hunden.

Wie ein harmloses Kammerspiel muten Nachrichtentexte an, deren Botschaft nicht im neuralen sachlichen Sprachmodus vorgetragen wird, sondern auf bestem Plattdeutsch. „Strauss-Kahn mutt hüüt na'n Haftrichter“ heißt die Schlagzeile, zum Mitlesen und gleichzeitigen Hören, wenn man mag. Da passiert etwas im Gehirn, denn alles ist plötzlich anders, lässt sich nicht wie gewohnt einordnen.

Galerist Reiner Sperl freute sich über die doch etwas andere Art der Ausstellung. „Wir haben eine Kooperation mit der Fachhochschule. Da gehört auch mal so eine Arbeitsausstellung dazu“, sagt Sperl. Streng genommen befindet sich die studentische Kunst sowieso noch immer in der Fachhochschule, die Sperl-Galerie ist schließlich Mieter im alten Campus der FH in Potsdams Mitte. Der soll Ende 2017 abgerissen werden. Was dann mit der Galerie passiert, die seit fast 25 Jahren zu Potsdams Kunstszene gehört, ist noch offen. Man habe schon eine vage Idee, wo es hingehen könnte, sagte Sperl, wollte aber nichts verraten. Nur so viel: Es soll definitiv weitergehen.

„24pt potsdamer typolehre“ ist in der Sperl-Galerie, Friedrich-Ebert-Straße 4, zu sehen bis zum 6. März. Geöffnet ist mittwochs bis freitags von 14 bis 18 Uhr, samstags und sonntags von 12 bis 18 Uhr.

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