Kultur: Die Kunst war wie ein Neuanfang
Für Anatol Gotfryd werden seine leisen Mitbewohner manchmal ganz unerwartet wach und laut
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Diese Werke werden nur selten in der Öffentlichkeit gezeigt. Sie erzählen über „Das Glück des Sammelns“. Bis zum 25. August stellt das Kunsthaus in einer Ausstellung Kunst aus Privatbesitz vor. Acht Sammler geben Einblicke in die von ihnen zusammengetragene ganz eigene Bilder- und Skulpturenwelt. In loser Folge stellten die PNN einige der Sammler vor. Heute zum Abschluss Anatol Gotfryd.
Er ist eingemauert, dieser „Himmel über Schöneberg“. Anatol Gotfryd stellt sich zum Fotografieren förmlich hinein in das gemalte Stadtbild von Horst Hödicke – als wolle er zeigen, dass er mit der von ihm gesammelten Kunst verwachsen ist. „Sie ist für mich wie ein Psychogramm“, sagt der 81-Jährige. Er ist begeistert, dass Hödicke an die seit dem Mittelalter bestehende Tradition der Stadtlandschaften angeknüpft hat. Auf eigenwillige, beklemmende Weise. Vielleicht findet Anatol Gotfryd in diesen gemalten Mauern auch das Klaustrophobische wieder, das ihn mitunter überwältigt.
„Ich habe es gerne, wenn diese Kunst wie stille Mitbewohner und wie sich im Halbschlaf befindende Wesen teilnahmslos auf die Geschehnisse um mich herum blicken, um manchmal ganz unerwartet wach und laut zu werden“, schrieb er in einem Statement zur Ausstellung. Und wenn diese Wesen laut werden, führen sie ihn auch zurück in die Kindheit.
Eine Woche vor seinem 12. Geburtstag wurde Anatol Gotfryd in einen Eisenbahnwaggon gesteckt. „Ich konnte mich kurz vor dem Vergasungslager noch retten.“ Er ist rausgesprungen aus dem Waggon und wurde von einem ukrainischen Polizisten gefasst. „Der hat mir das Gewehr an den Kopf gehalten, sich dann aber wohl doch nicht getraut, ein Kind zu erschießen.“ Anatol Gotfryd hat sich durchgeschlagen – und überlebt. Aber die Bilder in seinem Kopf wird er nicht los: von diesem kalten Gewehrlauf an der Stirn und von dem übervollen Waggon. „Nach zwei Stunden waren ein Viertel der Leute erstickt und die anderen saßen auf den Toten.“ Manchmal, wenn er allein spazieren geht, kommt es ihm so vor, als wenn der Weg ganz schmal wird. „Das sind die Eisenbahnschienen.“
Anatol Gotfryd ist kein schwermütiger Mann, dem die Vergangenheit ständig wie ein übermächtiges Gespenst im Nacken sitzt. In seinem Buch „Der Himmel in den Pfützen“ hat er sich vieles von der Seele schreiben können. „Keineswegs ist es so fürchterlich larmoyant wie die Biografie von Marcel Reich-Ranitzki, der ein ähnliches Schicksal erlebt hat wie ich. Man soll nichts verschweigen, aber auch nie im Leben etwas verallgemeinern. Ich kann meinem Sohn doch nicht meine Hypothek hinterlassen.“ Er schaut nach vorn, hat aber auch nicht vergessen, dass Deutsche ihm zweimal das Leben gerettet haben.
1958 verließ Anatol Gotfryd die polnische Heimat und kam mit seiner Frau nach Deutschland. Er wollte nicht nach der Parteidevise leben: Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen. „Wir wollten eine andere Welt.“ Nach anderthalb Jahren kamen sie nach Westberlin. In der Kunst fand Anatol Gotfryd die Sprache, die ihm anfangs in Worten noch fehlte. Er kaufte sich ein kleines Bild aus Holz und Gips. Es hieß „Jedermann“. „Dieses Anonyme hatte für mich eine befreiende Funktion. Jedermann – das klang für mich wie Neuanfang. Dass jeder eine neue Identität finden kann.“ Aber noch mehr als die Kunst waren es die Künstler, die ihm die Ankunft in dem fremden Land leichter werden ließen: in ihrer kosmopolitischen Art. Da fand er das wieder, was er an seinem Onkel so verehrte: das Weltoffene. „Mein Onkel war ein ungewöhnlicher Mann mit atemberaubender Ausstrahlung. Er hatte in seiner Wohnung auch Zeichnungen von Max Liebermann. Durch ihn bin ich zur Kunst und zum Beruf gekommen.“
Anatol Gotfryd wurde wie er Zahnarzt. Nicht irgendeiner. Zu ihm kam die ganze Prominenz. Theatergrößen wie George Tabori, Rainer Werner Fassbinder, Harald Juhnke oder der Boxer Bubi Scholz gehörten zu seinen Stammpatienten. Und auch viele Maler und Bildhauer, eben seine Freunde. „Meine Mutter sagte immer: ,Jeder bekommt die Patienten, die er verdient’. Und das war wohl nicht unbedingt als Kompliment gemeint.“ Er kam aber mit diesen so vereinnahmenden Egozentrikern gut zurecht. In seiner Praxis übernahm er selbst das Zepter, leise und mit psychologischen Tricks. „Eine Therapie ist etwas sehr delikates und die Zahnheilkunst funktioniert nur außerhalb der Routine, wenn man seinen Gestaltungsfreiraum behält.“ Anatol Gotfryd verfolgte einen ähnlichen Ansatz wie die Künstler selbst, die zu ihm kamen.
Dieser Kunstsammler, der inzwischen seine Praxis aufgegeben hat, weiß, was er will. Vor allem das Unangepasste gefällt ihm. Deshalb hat er auch neben Hödickes „Himmel über Schöneberg“Hödickes „Stadtdschungel“ gehängt, ein Bild das sich zu den Roots bekennt, zu den Wurzeln, und das zugleich das unbändige Leben im Hier und Heute spiegelt. „Hödicke ist einer der wichtigsten Anreger der Neuen Wilden, denen auch Baselitz und Lüpertz angehörten . Er ist ein großartiger Maler, der keinen strengen Konventionen folgt und der sein Temperament auslebt.“ Für Anatol Gotfryd ist er einer der wichtigsten Maler der deutschen Nachkriegsgeschichte. Und deshalb hängt er nun gleich zweimal hier: in dieser Ausstellung des Sammlerglücks.
Er selbst sei nur im Kopf wild, sagt der Mann mit dem akkuraten Einstecktuch im Sakko und dem feinen Tuch im Hemdkragen. Aber diesen Kopf setzte er ein, um beispielsweise im Kuratorium der Berliner Nationalgalerie wieder eine bedeutende Sammlung mitaufzubauen. Er trug dazu bei, dass der Mies-van-der-Rohe-Bau am Potsdamer Platz seine einstige Bedeutung wiedererlangte, nachdem in der Nazizeit so vieles verloren gegangen war.
Gotfryd fühlt sich vor allem von Kunst angesprochen, die dazu beiträgt, die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg zu reflektieren. Wie der frühe Markus Lüpertz, der alltägliche Gegenstände zu Monumenten erhob, sie zu neuem Leben erweckte. Oder Armando, der sich mit den „Schuldigen Landschaften“ beschäftigt, in denen es zu Gräueltaten kam und die danach wieder wie friedliche Idyllen wirken. Auch von ihm hat er Bilder. Aber für diese Ausstellung seien sie zu kopflastig, zu sehr am Rande der Philosophie.
Im Kunsthaus, Ulanenweg 9, Mi 11-18 Uhr, Do/Fr 15-18 Uhr, Sa/so 12 -17 Uhr
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