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Kultur: Die Leichtigkeit des Augenblicks
Auf Entdeckungsreise mit Werner Lierschs Buch „Stille finden. Brandenburg im Gedicht“
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Dieses Buch will nicht wenig, wenn es im Titel das Versprechen trägt: „Stille finden“. Denn es geht ja nicht allein um ein akustisches Phänomen, also der Abwesenheit jeglicher Geräusche. Es geht um diese flüchtigen Momente, die viele von uns nur noch selten finden. Die uns überraschen und gerade deshalb so besonders sind. Vielleicht bei einem Spaziergang auf schon lange bekannten Wegen, wenn da nach einer Biegung auf einmal alles anders, wie neu erscheint. Vielleicht liegt es am Spätabendlicht, vielleicht am leichten Wind, der alle Geräusche, wenn nicht schluckt, dann doch zumindest dämpft. Kein Mensch ist zu sehen, wir halten inne und staunen über das, was sich hier so unspektakulär abspielt. Oder wir sind unterwegs an einen Ort, mit dem Auto oder dem Zug, von dem wir wissen, dass dort diese seltenen Momente leben. „Am Ende der Fahrt ist am Tor unter den Kiefern manchmal etwas zu hören, das nicht zu hören ist. Stille. Ein paar Sekunden. Nicht, dass sie Lärm verdrängt. Es ist ruhig hier. Stille ist etwas anderes als Ruhe. Nichts geschieht mehr. Die Welt hält inne im Vergehen. Meine Stille. Welche Leichtigkeit für einen Augenblick. Stille ist flüchtig, wie es Träume sind“, schreibt Werner Liersch.
Werner Liersch ist der Herausgeber des Buches „Stille finden“, für das er über 70 Gedichte zusammengetragen hat. Gedichte, die von Brandenburg handeln und in acht Rubriken mit Titeln wie „Brandenburger Botschaften“ und „Landmarken“, „Dichters Ort“ und „Spiegelungen“ unterteilt sind. Über 70 Gedichte, in denen, so paradox das auch klingen mag, die Autoren versucht haben, diese besonderen Momente der Stille in Worte zu fassen. Und wie auf einem Spaziergang, sei es nun auf bekannten oder neuen Wegen, sind es in diesem Buch immer auch nur vereinzelte Gedichte, die bei jedem Leser auf unterschiedliche Weise eine Ahnung von Stille vermitteln oder – und dann ist es wirklich die hohe Kunst – selbst einen dieser seltenen Momente schaffen. Einer, der diese Kunst auf feinfühligste Art beherrschte, war Peter Huchel.
„Hinter den ergrauten Schleusen, / nur vom Sprung der Fische laut, / schwimmen Sterne in die Reusen, / lebt der Algen Dämmerkraut“, hebt Huchel in „Havelnacht“ an. Fünf Strophen mit gewöhnlichem Kreuzreim hat Huchel hier gewählt. Eine der bekanntesten und vielleicht auch unterschätztesten Gedichtformen, mit der er die schlichte Schönheit einer märkischen Havelnacht auf dem Wasser wie in einer Momentaufnahme bannt. Man liest diese fünf Strophen immer und immer wieder wie ein Mantra, taucht ein in den Rhythmus und spielt mit den Worten, den Silben. Liest mal schneller, mal langsamer, liest beglückt Zeilen wie „wispern nachts die Büsche blasser“ oder „Duft aus wieviel alten Jahren“. Und während sich dieses Landschaftspanorama in der ständigen Wort- und Verswiederholung weitet und sich entfaltet, den Leser dabei aber immer stärker umhüllt, findet man Stille.
Oder man bleibt mit Jens Gerlach „nachts im heim“, wo „die treppen kahl / die flure fahl / und schal die stummen türen“ sind. Tritt man hinaus in die Landschaft, ist es wie bei Huchel das Wasser, das wie kaum ein anderes Naturbild so klar und berührend die Stille in sich aufnimmt: „am spiegelsee / von licht und lärm poliert / stehn starr die pappeln / nacht aus nacht geschnitten“.
Wenn Sarah Kirsch dagegen von „Sanssouci“ schwärmt und schreibt: „hier möchte ich wohnen Herr / Bürgermeister von Potsdam, morgens / Vorm Schlafzimmer die flachen Treppen / Zum dunkelgrünen Kanal absteigen / Ins Boot, sanft die Ruder schlagen, drei junge Schwalben / Werden über dem Wasser gefüttert“, ist die Stille dann doch nicht so leicht zu finden.
Aber das ist ja gerade das Reizvolle an der Auswahl von Werner Liersch. Diese Leichtigkeit, das Besondere findet sich in jedem dieser Brandenburger Gedichte, darunter mehrere, die sich Potsdam widmen. Ob man sie aber entdeckt, sie sich einem öffnet, das wird bei jedem Leser unterschiedlich sein. So empfiehlt es sich, in diesem Buch auf Entdeckungsreise zu gehen. Sich an die Hand nehmen zu lassen von Peter Huchel und Eva Strittmatter, Peter Hacks und Gottfried Benn, Inge Müller und natürlich Theodor Fontane, von Bertolt Brecht und Lutz Seiler. Selbst Friedrich II. kommt hier mit seinem Loblied auf Sanssouci an den Marquis d’ Argens zu Wort.
Somit ist „Stille finden. Brandenburg im Gedicht“ auch ein kleines und handliches Kompendium von und über das lyrische Brandenburg. Mit kunstvollen und wohl gesetzten Worten lässt sich hier ein Landstrich mit seiner Geschichte, seinen Eigenheiten entdecken. Ein Buch, das einem diese besonderen Momente schenkt und uns wieder dafür sensibilisieren kann. Sensibilisieren für das Schönschlichte in der Natur, gleichzeitig aber auch für die Kunst, dieses Momenthafte in passende Worte zu fassen. Um dann vielleicht wie Richard Pietraß in seinem Gedicht „Beeskow“ zu empfinden: „Die Kirche wandert durchs Schilf. / Ich folge ihrem Schiff. / Zaunkönige grüßen mich. Schon bin ich einer der ihren.“
Werner Liersch (Hrsg.): Stillen finden. Brandenburg im Gedicht, Verlag für Berlin-Brandenburg 2014, 152 Seiten, 16,99 Euro
Dirk Becker
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